VISSZA 

Nicolaus Lenau 

A Bolygó Zsidó

2022.01.15

(Ahasverus-versek)

 

Ahasver, der ewige Jude
(1827-1831)

Ein Wäldchen rauscht auf weiter grüner Heide,
Hier lebt die Erde still und arm und trübe;
Das Wäldchen ist ihr einziges Geschmeide,
Daran ihr Herz noch hangen mag in Liebe,
Wie eine Witwe, eine einsam arme,
Den Brautschmuck aufbewahrt, daß sie die Blicke,
Die tränenvollen, spät daran erquicken
Wird sie zu bang erfaßt von ihrem Harme.
Rings um das Wäldchen alles öd und einsam;
Nicht Baum und Strauch, nur Wiesengrund zu sehn
Bis an die Grenze, wo die Wolken gehn,
Wo Heid und Himmel zweifelnd wird gemeinsam.
Strohhütten stehn umher zerstreut im Haine;
Hier hat ein traulich stilles Los gefunden
Von Hirten eine friedliche Gemeine;
Doch ist kein Menschenleben ohne Wunden.
Die Linde säuselt, blütenreich und hoch,
Die Sonne geht im Westen still verloren,
Und auf den Blüten, die sie jüngst geboren,
Verweilen ihre warmen Blicke noch;
Auch strahlen sie zum letztenmal auf einen,
Um dessen Leiche dort die Hirten weinen.
Sie stellten seine Bahre an die Linde,
Als sollt ihn einmal noch der Lenz begrüßen,
Der schon als Jüngling hat hinsterben müssen.
Die bleiche Mutter kniet an ihrem Kinde;
Mit Rosenkränzen schmücken ihn Jungfrauen,
Und aller Blicke haften schmerzumflossen
Auf ihrem lieben, freundlichen Genossen,
Sein Bild sich recht ins treue Herz zu schauen.
Der Vater hält des Toten Flöt und Stab,
Benetzend sie mit mancher heißen Zähre;
Dem Jüngling sollen folgen in sein Grab
Die schlichten Zeichen seiner Hirtenehre.
Im Ohr des Alten summen noch die Lieder,
Die dieser Flöte einst so froh entquollen,
Und die auf immer nun ihm schweigen sollen;
Das beugt ihm tiefer noch die Seele nieder. –
Wer aber kommt die Heide hergezogen,
Gejagt, so scheints, von drängender Gewalt,
Das Haupt von greisen Locken wild umflogen,
Das tiefgefurchte Antlitz fahl und kalt?
Es ragt ins Leben ernst und schroff herein
Wie altes, längst verwittertes Gestein;
Vom Antlitz fließt herab der Bart so hell,
Wie düsterm Fels entstürzt der Silberquell.
Aus dunkler Höhle glüht des Auges Stern,
Als sähs auf dieser Erde nichts mehr gern.
Das Auge scheint mit seiner Glut zu sagen:
›Müßt ich nicht leuchten dem unsteten Fuß,
Ich hätte längst mit eklem Überdruß
Vor dieser Welt die Türe zugeschlagen!‹
Der Wandrer ist der Jude Ahasver,
Der, fluchtgetrieben, rastlos irrt umher.
Zur Bahre tritt er feierlich und leise
Und spricht im bang erschrocknen Hirtenkreise:
»So! betet still, daß ihr ihn nicht erweckt!
Hemmt eurer Tränen undankbare Flut!
Sein Schlaf ist gut, o dieser Schlaf ist gut!
Wenn er auch Toren euresgleichen schreckt.
O süßer Schlaf! o süßer Todesschlaf!
Könnt ich mich rastend in die Grube schmiegen!
Könnt ich, wieder, in deinen Armen liegen,
Den schon so früh dein milder Segen traf!
Den Staub nicht schütteln mehr vom müden Fuße!
Wie tiefbehaglich ist die Todesmuße!
Das Auge festverschlossen, ohne Tränen;
Die Brust so still, so flach und ohne Sehnen;
Die Lippen bleich, versunken, ohne Klage,
Verschwunden von der Stirn die bange Frage.
Wohl ihm! er starb in seinen Jugendtagen;
Er hat gar leicht, vom Schicksal liebgewonnen,
Die große Schuld des Schmerzes abgetragen,
Das Leben ihm umsonst Verrat gesponnen.
Sein Herz ist still; das meine, ohne Rast,
Pocht Tag und Nacht in ungeduldger Hast,
Auf daß es einmal endlich fertig werde
Und seinen Sabbat find in kühler Erde.
Es schläft der Mensch in seiner Mutter Hüften,
Dann eine Weile noch, mit Augen offen,
Irrt er, Schlafwandler, in den Morgenlüften
Und träumt ein buntes, himmlisch frohes Hoffen,
Bis plötzlich ihm ans Herz das Leben greift,
Den schönen Traum von trunkner Stirne streift
Und ihn mit kalter Hand ins Wachen schüttelt,
Wie meine Hand hier Blüten niederrüttelt.
Den hat die kalte Faust noch nicht erfaßt,
Er ist, unaufgeschreckt vom Traum, erblaßt;
Ich sehs an seinen ruhig schönen Zügen,
Die, selig lächelnd, fast den Tod verhehlen
Und immer noch das Märchen still erzählen,
Die Erde noch zum Paradiese lügen!«
Er rüttelt wieder Blüten von den Zweigen,
Die niederflattern ihren Todesreigen:
»Noch immer, Erde, den uralten Tand
Von Blüten treiben und zerstören, immer?
Verdrießt, Natur, das öde Spiel dich nimmer?
Ergreift nicht Schläfrigkeit die müde Hand?
Du gleichest mit dem wüsten Zeitvertreib
Im Dorfe drüben dem Zigeunerweib,
Die Karten schlägt, mit ihren bunten Bildern
Vergangnes wie Zukünftiges zu schildern
Und, blöd begafft, belauscht, neugiergen Leuten,
Was sie gedacht, was sie geträumt, zu deuten.
Die Blätter werden aufgemengt und frisch
Gelegt in neuer Ordnung auf den Tisch,
Den Glauben äffend mit prophetschen Spuren;
Doch immer sinds die nämlichen Figuren!
Ich schaute zu seit achtzehnhundert Jahren,
Die machtlos über mich dahingefahren. –
Laß dich umarmen, Tod, in dieser Leiche!
Mein Auge laben an der Wangen Bleiche!
Balsamisch rieselt ihre frische Kühle
Durch mein Gebein; durch meines Hirnes Schwüle.« –
Derweil die Hirten jetzt den Sarg verschließen,
Starrt Ahasver aufs Kruzifix der Decke,
Als ob er plötzlich, tiefgemahnt, erschrecke,
Aus seinem finstern Auge Tränen fließen:
»Hier ist sein Bildnis an den Sarg geheftet,
Der einst gekommen, schmachtend und entkräftet,
Der einst vor meiner Tür zusammenbrach,
Gebeugt vom Druck des Kreuzes und der Schmach,
Der mich um kurze Rast so bang beschwor;
Ich aber stieß ihn fort, verfluchter Tor!
Nun bin auch ich vom Fluche fortgestoßen,
Und alle Gräber sind vor mir verschlossen.
Ich stand, ein Bettler, weinend vor der Türe
Der Elemente, flehte um den Tod;
Doch, ob ich auch den Hals mit Stricken schnüre,
Mein fester Leib erträgt des Odems Not.
Das Feuer und die Flut, die todesreichen,
Versagten das ersehnte Todesglück;
Ich sah die scheue Flamme rückwärts weichen,
Mit Ekel spie die Welle mich zurück.
War ich geklettert auf die Felsenmauer,
Wo nichts gedeiht als süßer Todesschauer,
Und rief ich weinend, wütend abgrundwärts:
»O Mutter Erde, dein verlorner Sohn!
Reiß mich zerschmetternd an dein steinern Herz!«
Der Zug der Erdentiefe sprach mir Hohn,
Sanft senkten mich die fluchgestärkten Lüfte,
Und lebend, rasend, irrt ich durch die Klüfte.
»Tod!« rief ich, »Tod!« mich in die Erde krallend,
»Tod!« höhnte Klipp an Klippe widerhallend.
Zu Bette stieg ich lüstern mit der Pest;
Ich habe sie umsonst ans Herz gepreßt.
Der Tod, der in des Tigers Rachen glüht,
Der zierlich in der giftgen Pflanze blüht,
Der schlängelnd auf dem Waldespfade kriecht,
Den Wandrer lauernd in die Ferse sticht,
                                Mich nahm er nicht!«
Da wandte sich der Jude von den Hirten,
Und weiter zog der Wandrer ohne Ruh,
Dem letzten Strahl der Abendsonne zu;
Ob seinem Haupt die Heidevögel schwirrten.
Und wie er fortschritt auf den öden Matten,
Zog weithingreifend sich sein Schattenstrich
Bis zu den Hirten, die bekreuzten sich,
Die Weiber schauderten an seinem Schatten.

 

Der ewige Jude
(1836)

Ich irrt allein in einem öden Tale,
Von Klippenkalk umstarrt, von dunklen Föhren;
Es war kein Laut im Hochgebirg zu hören,
Stumm rang die Nacht mit letztem Sonnenstrahle.

Für ernste Wandrer ließ die Urwelt liegen
In diesem Tal versteinert ihre Träume;
Dort sah ich einen Geier durch die Bäume
Wie einen stillen Todsgedanken fliegen.

Nun kam ein Regen; daß der Himmel weine,
Erkennt das Herz an kahlen Felsenriffen,
Wo es vom Regen traurig wird ergriffen,
Daß er nicht wecken kann die toten Steine.

So ruft umsonst ein Strom von heißen Tränen
Den Trümmern ausgetobter Leidenschaften:
Wach auf, blüh auf aus deinen Todeshaften,
O Liebe! süßes Quälen! Hoffen! Sehnen!

Das Erz nur kann ich aus den Schlacken zwingen,
Mit Lebensgluten es dem Tod entlocken
Und gießen zu lebendgen Liedesglocken,
Die, Wehmut weckend, durch die Welt erklingen.

»Dahin, dahin des Lebens helle Stunden!
Mir nachtets, Tal, wie dir! ich wollt, ich wäre
Versunken, eh mein Licht versank, im Meere!«
Ich riefs und ließ aufbluten meine Wunden.

Und heftger regnets; von erwachten Winden
Ward Wolk an Wolke brausend zugetragen;
Wie zu des Herzens jüngsten Tränen, Klagen
Sich alter Schmerzen ferne Quellen finden. –

Stets dunkler wards im Tale, lauter immer,
Sturzbäche durch die Felsengassen sprangen,
Es wimmerten die Winde, schluchtverfangen,
Und Donner schlug; – den Geier sah ich nimmer.

Wo war der Geier? wo der Todsgedanke?
Der Geier muß in einer Ritze ducken,
Solang die Klagen das Gebirg durchzucken;
Sein Leben fühlt und liebt im Schmerz der Kranke.

Nur Einem ist, ob schweigend oder stürmend,
Die Welt stets einerlei und stets zuwider,
Denn rastlos muß er wandern auf und nieder,
Jahrtausendhoch die Todeswünsche türmend. – –

Schon sucht ich in den Bergeseinsamkeiten
Ein Lager mir, da kam ein Rauch geflogen,
Als wär er gastlich nach mir ausgezogen,
Zur waldversteckten Hütte mich zu leiten.

Ich späht umher, bald sah ich Kerzenschimmer
Durch dunkle Tannen, hörte Menschenworte;
Bevor ich einschritt in die offne Pforte,
Blickt ich durchs Fenster in das niedre Zimmer.

Ein Greis, bemüht, die braunen Rückenhaare
Zu einem Gemsbart weidgerecht zu schlichten,
Saß schweigend und wie sinnend auf Geschichten
Und Jägerstreiche seiner rüstgen Jahre.

Hoch stand sein Sohn, vom Ruß die Büchse putzend
Mit Schultern, die den Hirsch bergüber trügen,
Mit scharfen und entschlußgewohnten Zügen,
Wie sie der Raubschütz hat, dem Tode trutzend.

Die Hausfrau stand am Herd, die Mahlzeit kochend,
Rief durch die Tür herein, daß sie bald fertig,
Denn ihre Kinder saßen schon gewärtig,
Mit froher Ungeduld am Tische pochend.

Und ich empfand, als ich das Bild betrachtet:
Ein Herz, das Lieb und Sorge dicht umhegen,
Ist glücklich; und ein Herz auf stolzen Wegen,
Auf Irrfahrt großer Wünsche – herb verschmachtet.

Der Hütte Not manch bunter Schmuck verhüllte
Viel Heilgenbilder, Braut- und Taufgeschenke
Verzierten blank die Wände rings und Schränke,
Trinkgläser auch, vielleicht noch nie gefüllte.

Schön ist die Armut, wenn sie, keusch verhangen,
Im rohen Sturm als eine Jungfrau schreitet,
Die Hüllen sorglich um die Blößen breitet,
Den Feind besiegend mit verschämten Wangen. –

Eintrat ich in die Stube, froh willkommen,
Dem Wildrer gab ich ehrlich meine Rechte,
Ihn nicht zu liefern an des Forstes Mächte,
Und ward zu Herberg herzlich aufgenommen.

Die Wirte suchten ihren Gast zu ehren
Mit derber Kost, mit derben Jägerstücken,
Wie sie die Wächter und das Wild berücken,
Von Gemsen, wie sie fielen, Luchsen, Bären.

Der Schütze wies und pries mir seine Stutze,
Mit welchen schon sein Vater einst, der Alte,
Als frischer Jung in diesen Bergen knallte;
Mir wies die Frau, was sie besaß an Putze.

Sie ließ mir, kindlich, bunten Flitter schauen;
Doch mehr als Ringlein, Perlenschnur und Spangen,
Hielt eine Münze meinen Blick gefangen
Und traf mein Herz mit wunderlichem Grauen.

Die Münze bleiern sah so traurig blinkend,
Fast wie ein brechend Auge, das Gepräge
War Christus mit dem Kreuz am Leidenswege,
Nach Ruhe schmachtend und zusammensinkend.

Nie war ein Bild, gemalt vom heilgen Schmerze,
In all den reichen kunstgeschmückten Hallen
So klagend an die Seele mir gefallen,
Wie dieses Bild, geprägt im grauen Erze.

Nun schien der Mond herein; die Kinder schliefen,
Der Alte murmelte den Abendsegen,
Dann ward es still; vorbei war Sturm und Regen
Nur draußen hört ich noch die Tannen triefen.

Und als ich starrt aufs mondbestrahlte Bildnis,
Ward mir, ob sichs in meiner Hand belebe,
Als ob sein Geist mit mir von hinnen schwebe,
Ich war hinausentrückt zur Felsenwildnis.

Und Alpenlerchen hört ich jubelnd schmettern,
Und Adler sah ich steigen in die Lüfte,
Die scheue Gemse springen über Klüfte,
Den Jäger nach im Morgenrote klettern.

Die Büchse knallt, die Gemse stürzt vom Felsen,
Sie hört nicht mehr das Echo donnernd wandern
Von Berg zu Berg; doch hören es die andern
Und lauschen schreckhaft mit gespannten Hälsen.

Des toten Tieres zitternde Genossen
Stehn still, solang die Widerhalle dauern,
Sie hören Schüsse rings von allen Mauern,
Wohin sie flüchten sollen, unentschlossen;

Jetzt eilen sie windschnell davon und schwinden
Im Felsgeklüft; ob sie nur Angst durchzittert?
Daß man die Weide ihnen so verbittert,
Ob sie des Menschen Unrecht nicht empfinden?

Der Bock, den dieser Schuß herabgerissen
Vom Felsenhang, wo ihn sein Leben freute,
Hängt von des Jägers Schulter nun als Beute,
Hält in den Zähnen noch den Kräuterbissen.

Wie jetzt der Raubschütz auf geheimen Wegen
Mit seinem Raube will davon sich machen,
Hört ers Gerüll von schweren Tritten krachen,
Ihm kommt ein riesenhafter Greis entgegen.

Der Alte blickt aus dichten Augenbrauen,
Die Föhrenbüscheln, glutversengten, gleichen;
Der Urkalk rings scheint mit dem starren, bleichen
Antlitz des Manns aus einem Stück gehauen.

Er ruft dem Jäger: »Halt!« mit einer Stimme,
Daß lauter als zuvor die Berge schallen,
Daß fliehend vom Geklipp die Gemsen fallen,
Und seine Keule schwingt der Greis im Grimme.

Doch steht er fest im engen Schluchtenpfade
Und harrt mit hocherhobner Todeswaffe,
Daß der bestürzte Jäger auf sich raffe
Und seine ausgeschoßne Büchse lade.

Indes in seiner Rechten droht die Keule,
Reißt seine Linke von der Brust die Hülle,
»Schieß her!« ruft sein toddürstendes Gebrülle,
»Sonst stirb!« ruft sein todlechzendes Geheule.

Erstaunen und Entsetzen überschleiern
Des Jägers Blicke; doch die Büchse faßt er
Und schüttet Pulver, drückt darauf das Pflaster,
Und in den Lauf treibt er die Kugel bleiern.

Er zielt und schießt aufs Herz dem wilden Recken;
Doch wie geprallt an eine Felsenscheibe,
So klatscht die Kugel ab von seinem Leibe,
Den Jägersmann zu Boden wirft der Schrecken.

An ihm vorüber rauscht der grause Alte,
Den's weiter treibt, umsonst den Tod zu suchen;
Der Schütze hört noch lang sein fernes Fluchen,
Bis ihm der letzte Laut im Wind verhallte.

Der ewge Jude rief: »Nur ich von allen
Kann unglückselig nie die Ruhe finden!
O könnt ich sterben mit den Morgenwinden
Und wie mein Wehruf im Gebirg verhallen!

Ich bin mein Schatten, der mich überdauert!
Mein Widerhall, am Felsen festgenagelt!
Ein Halm, auf den es ewig niederhagelt!
Ein flüchtger Lichtstrahl, in den Stein gemauert!

Weh mir! ich kann des Bilds mich nicht entschlagen,
Wie er um kurze Rast so flehend blickte,
Der Todesmüde, Schmach- und Schmerzgeknickte,
Muß ewig ihn von meiner Hütte jagen!« – –

Und als es stille war im Felsenschlunde,
Erhob sich scheu und schlich zur grausen Stelle,
Wo seine Kugel traf, der Weidgeselle
Und nahm sein plattgequetschtes Blei vom Grunde.

Und zitternd kam er auf mich zugeschritten
Und reichte mir das Blei, ich nahms mit Grauen:
Zur Münze wars geprägt, auf der zu schauen
Des ewgen Juden Herzqual eingeschnitten.

Die Münze bleiern sah so traurig blinkend,
Fast wie ein brechend Auge, das Gepräge
War Christus mit dem Kreuz am Leidenswege,
Nach Ruhe schmachtend und zusammensinkend. –

Da weckten meine wirtlichen Genossen
Mit lautem Ruf zurück mich in das Zimmer,
Als ich erwacht, hielt meine Hand noch immer
Das Zauberbild, vom Mondenlicht umflossen.

 

Der arme Jude
(1841)

Jud ist an ein Kreuz gekommen,
Speist am fremden Heiligtume
Auf der Bank ein Stücklein Krume,
Ruhe soll den Gliedern frommen.

Nickend träumt er: seine Väter
Jubeln um das Kreuz im Ringe,
Und er hört die Silberlinge
Klirren Judas dem Verräter.

Zieht ein Jäger, heimbeflissen
Doch es schnüffelt noch sein Hündlein
Um den Schläfer, um das Bündlein,
Stiehlt ihm aus der Hand den Bissen.

Zieht des Wegs daher ein Bauer,
Und er rüttelt wach den Armen,
»Schlaf nicht!« ruft er mit Erbarmen,
»Sonst erfrierst im Winterschauer.

Leg wahrhaftig deine Bürde
Hin am Kreuze, samt dem Fluche;
Jude, irres Schäflein, suche
Jesu Christi warme Hürde.

Jude, wolle dich bekehren!
Dir vom ganzen alten Bunde
Blieb dies Bündlein nur zur Stunde,
Dich zu schützen, dich zu nähren.

Laß dich taufen und verwandeln;
Mancher tats, und mit vier Rossen,
Hornklang kommt er nun geschossen,
Der einst umrief: Nichts zu handeln?

Nimm mich an zu deinem Paten;
Nebst dem Angebind, dem werten, –
Gott gesegnete dem Bekehrten, –
Labst du dich an Wein und Braten.«

Drauf der Jude spricht, der echte:
»Laß mich nie und nimmer taufen.
Wollt Ihr nicht Gewänder kaufen
Für die Dirnen, für die Knechte?

Mancher trägt das Kreuz am Rücken,
Jude noch im Herzensgrunde,
Schwerer als des Bündels Pfunde;
Wählt Euch was von meinen Stücken!«

Doch er sieht den Bauer scheiden,
Und sein Bündel schnürt er wieder,
Müde senkt er drauf sich nieder,
Traurig von des Weges Leiden.

Wieder hat am Kreuz den Armen
Schlaf und froher Traum befallen,
Eine Stimme hört er schallen,
Süß, wie himmlisches Erbarmen:

»Harret, meine Kinder, harret!«
Ruft Messias, näher, näher.
Wandrer finden den Hebräer
Liegen an dem Kreuz erstarret.

 

 

FEL