IDENTITÁS

J. van Beek

Walter Rathenau(1867-1922)

Antisemitismus und Antijudaismus

2021.12.25.

1. Einleitung

Rathenau ist das Symbol für assimilierte deutsche Juden, sein Schicksal ist kennzeichnend für das ihre. Er hat einer Untergruppe angehört, deren Mitglieder sich durch Fortschrittlichkeit, Erfolg, Intellektualismus und den Hang zur Assimilation auszeichneten. Zur Gruppe gehörten vor allem Nachkommen von erfolgreichen kapitalistischen Unternehmern. Sie hegten antisemitische Vorurteile und protestieren damit gegen ihre Väter und deren kapitalistische Welt. Unbewusst stimulierten sie den innerjüdischen Antisemitismus und jüdischen Selbsthass.[1] Kümmerten sie sich nicht um ihre Glaubensgenossen, von denen die große Mehrheit in Armut lebte?[2] Hatte Rathenau kein Mitleid mit denjenigen, die denselben Glauben hatten? Die Frage ist auch, wie er das Judentum sah, insbesondere in Höre, Israel! und wie er auf den aufkommenden Antisemitismus und Antijudaismus reagierte.

Tatsache ist, die Zukunft Deutschlands ging Rathenau zu Herzen und er fühlte sich bestimmt verantwortlich für seine Stammesgenossen.[3] Tatsache ist auch, dass das Verhältnis zwischen Rathenau und dem Antisemitismus viele Haken und Ösen hat. Einerseits muss man Vorurteile und wirkliche Fakten kennen, um das komplexe Verhältnis zwischen Rathenau und dem Antisemitismus besser in den Blick zu bekommen, andererseits ist Rathenau als Folge einer antisemitistischen Hetzkampagne ermordet worden. Man hält ihn trotzdem manchmal für einen Mann mit antisemitistischen Neigungen und jüdischem Selbsthass.[4] Vielleicht hatte der deutsch-jüdische Rechtsanwalt Hardi Swarsensky, der in 1940 nach Argentinien ins Exil ging, Recht mit seinem Gedanken, dass trotz Rathenaus Einsatz la symbiosis entre germanisimo y judaismo misslungen ist.[5] Rathenau sprach jedoch nicht von Symbiose, sondern von Koexistenz. Es ging ihm in dieser heiklen Frage nicht um Verschmelzung, sondern um Versöhnung.[6]

1.2.Terminologie

Der Judenhass ist eine komplexe Erscheinung, die üblicherweise als Antisemitismus bezeichnet wird.[7] Dieser Begriff deutet eine ideologische oder politische Haltung gegenüber dem Judentum an, die von rassischen und ethischen Vorurteilen gefördert wird. Juden sind fortwährend diskriminiert und verfolgt worden in einer nichtjüdischen Umgebung, nicht zuletzt auch durch die christliche Kirche. Für Judenhass gibt es zwei konkrete Begriffe. Den Hass in der Kirche nennt man Antijudaismus, den außerhalb der Kirche Antisemitismus. Man macht diese Unterscheidung nicht, um das Verhalten von Kirche und Theologie zu beschönigen. Der Antijudaismus zeigt im Gegenteil, dass Kirche und Theologie sich gegen die Wurzeln ihres eigenen Glaubens wenden, die schon im Neuen Testament anerkannt werden (Joh 4,22 und Röm 11,18).[8]

Wilhelm Marr (1818-1904)

Der deutsche Journalist Wilhelm Marr (1818-1904), ursprünglich ein Rechtsradikaler, führte außerhalb des kirchlichen Kontextes 1879 den Begriff Antisemitismus ein. Er forderte die Juden auf, die Synagoge zu verlassen. Er nannte diesen Schritt eine potentielle Emanzipation. Seine Forderung wurde nicht angenommen, weil Emanzipation für die Juden nicht bedeutete, dass sie sich im deutschen Volk auflösen.[9] Sie wollten ihre eigene Identität bewahren. Der Historiker Hermann Greive (1935-1984) unterschied zwischen traditionellem Antisemitismus und modernem Antisemitismus.[10] Moderner Antisemitismus deutet dabei auf den Judenhass nach der Aufklärung. Vor der Aufklärung rechtfertigte man den Hass durch eine falsche Auslegung und Anwendung von Matthäus 27, 25.[11] Nach der Aufklärung sah man Juden nicht mehr als Anhänger einer Religion an, sondern als Mitglieder eines östlichen Stammes. Im aufgeklärten 19. Jahrhundert, in dem Demokratien und liberale Parteien entstanden und Juden auf dem Papier die gleichen Rechte erhielten, ersetzte Marr den Begriff Stamm durch den der Rasse.

Arthur de Gobineau

Um 1900 war ein rassistisches Denken landläufig. Was Juden betrifft, meinte man den Stein der Weisen gefunden zu haben: die jüdische Rasse.[12] Der französische Diplomat Gobineau (1816-1882) benutzte diesen Ausdruck.[13] Er kannte jedoch kein jüdisches Problem und war kein Judenhasser. Gobineau übernahm das Wort Rasse von Charles Darwin (1809­1882). Er lokalisierte die Wiege der ''weißen Rasse ’ in Zentralasien.[14] In 1879 setzte Marr den Begriff Rasse geschickt ein. Er entwickelte unter Einfluss des Sozialdarwinismus eine eigene Sicht der Juden und ihrer Existenz. Er bezeichnete sie mit dem sprachwissenschaftlichen Begriff als Semiten.[15] Seinen Kampf gegen die Juden nannte er Antisemitismus. Er sprach nicht von einem jüdischen oder semitischen Volk, sondern von einer semitischen Rasse mit besonderen Kennzeichen und genetischen Eigenschaften, den Stammeseigentümlichkeiten.[16] So unterlegte er seine Theorie mit einer pseudowissenschaftlichen und rassekundlichen Basis. Solche vermeintlichen Forschungen konnten keine wünschenswerten Resultate bringen. Eine jüdische oder semitische Rasse gibt es nicht, sie ist eine Erfindung. Es gibt nur ein jüdisches Volk und es gibt jüdische Menschen. Für Marr bildeten die Juden eine politische und wirtschaftliche Gefahr, aber keine religiöse. Er wollte sie aus den Staatsämtern fernhalten und sie von wirtschaftlichen Aktivitäten ausschließen. Der theologisch-kirchliche Antijudaismus[17] ist 1800 Jahre älter als der rassistische Antisemitismus. Er deckte sich nicht mit Marrs Auffassungen. Für die Antijudaisten war das Judentum eine überholte Religion, sie setzten die Kirche an die Stelle Israels.[18] Sie haben die jüdischen Wurzeln des christlichen Glaubens fast ganz verdrängt.[19]

1.3. Der Begriff bei Rathenau

Harry Graf Kessler

Harry Graf Kessler, Rathenaus schon genannter Biograph, zeitigte ihn eines rassistischen Denkens. Längst nachdem er die Rassentheorie mit dem Verstand überwunden hatte, war sie in ihm noch als Instinkt lebendig.[20] Die Frage ist, ob dieses (Vor-)Urteil der Wirklichkeit entspricht. Unter Einfluss von Gobineau hat Rathenau in seinen frühen Schriften tatsächlich den Begriff Rasse benutzt. Gobineau kenne ich und lange Zeit habe ich mich mit Rassentheorie befasst und mich einigermaßen im Banne [..] befunden.[21] Warum hat Rathenau sich lange Zeit mit der Rassentheorie beschäftigt? Was war los? Er unterschied in der Gesellschaft zwei Schichten. Die Oberschicht, die aus Großgrundbesitzern und hohen Staatsbeamten bestand, rechnete er zur nordischen Rasse. Die übrige Bevölkerung bildete die Unterschicht, einschließlich des übergroßen Teils seiner Volksgenossen und der zweieinhalb Millionen Polen, die schon vor 1866 auf preußischem Boden wohnten. Erst durch die Gründung des Norddeutschen Bundes in 1866, der 1871 den Namen ,Deutsches Reich annahm, wurden die Polen ungefragt zu deutschen Staatsbürgern. Diese Schicht nannte Rathenau die slawische Rasse. War das rassistisches Denken? Kann man Rathenau dessen bezichtigen? Ich wage das zu bezweifeln.

Max Weber

Max Weber (1864-1920), bekannt als (Religions-)Soziologe, aber weniger bekannt als Nationalist, wollte die Rassentrennung handhaben, nicht Rathenau .[22] Rathenau sah, wie eine Unterschicht entstand, die sich schnell ausbreitete und vergrößerte. Er fürchtete eine Entgermanisierung. Diese Evolution war für ihn kein blutmäßiger Vorgang, sondern eine Veränderung in der geistigen Verfassung der Völker.[23] In diesem Zusammenhang sprach er auch von Verdichtung und Umlagerung. Diese Transformation der Gesellschaft erfordere eine Mechanisierung und Homogenisierung der ganzen Gesellschaft, ja der ganzen Welt. Das ist merkwürdig, weil er die Mechanisierung verabscheute, sie war auf Zwecke gerichtet. Zum rechten Verständnis: Rathenau benutzte den Begriff der Rasse in der doppelten Verbindung von Entgermanisierung und Mechanisierung, sozusagen als eine sozialpolitische Kategorie.

Er hielt dem preußischen Adel vor, dieser müsse lernen, seine alten Vorrechte mit anderen zu teilen. Der preußische Adel soll seine hundertjährigen Vorrechte, mit wem es auch sei, teilen.[24] Er hatte den Eindruck, der Adel könne aus diesem Anspruch falsche Schlussfolgerungen ziehen und dass dann der Antisemitismus zunehmen würde. Der Antisemitismus ist die falsche Schlussfolgerung aus einer höchst wahrhaften Prämisse: der europäischen Entgermanisierung.[25] Von Angst getriebene Menschen trafen einander und missbrauchten ihre Kontakte, als stärkste Waffe, um die jüdische Rasse zu bekämpfen. Ängstliche Vorsicht bedrückter Menschen geht eine Verbindung ein, die [...] auf eine der stärksten Waffen im Rassenkampf hinausläuft.[26]

Weiter oben habe ich die Frage aufgeworfen, ob Rathenau ein Rassist war. Er benutzte doch den Begriff der Rasse. Um genauer zu sein, Rathenau nannte die Oberschicht die edle Rasse und die Unterschicht die unedle Rasse. Er benutzte die Begriffe edel und unedel nicht als ein Werturteil, sondern als Begriffe sozialer Schichtung, als eine sozialpolitische Kategorie. Er hielt die Koexistenz beider Schichten für notwendig.[27] Rathenau hat sich in 1914 von dem Begriff der Rasse distanziert, als er merkte, dass die Missverständnisse und der Antisemitismus zunahmen und die nationalistischen Auffassungen von Max Weber cum suis gefährliche Formen annahmen. Meine Vorstellung von der Entwicklung der Menschheit ist heute nicht mehr eine an Rasse gebundene, wie zur Zeit meiner frühesten Schriften. [28] Er ging auch auf Distanz zu dem Schriftsteller Wilhelm Schwaner (1863-1914), der ihn fortwährend mit rassistischen und antisemitischen Vorurteilen belästigte, aber die Freundschaft bestand weiter. Ich teile sie nicht. Ich bin der Überzeugung, dass Glaube, Sprache, Geschichte und Kultur hoch über den physiologischen Dingen der Blutmischung schwebt und sie ausgleicht.[29] Rathenau versuchte alles, Schwaner zu verdeutlichen, dass er und seine Volksgenossen Deutsche seien und dass die Bibel, sowohl Altes wie auch Neues Testament, Juden und Deutsche schon Jahrhunderte lang zusammengeschmiedet habe.

Rathenau richtete auch einen dringenden Aufruf an den Staat, dem Judenhass ein Ende zu bereiten. Er fühlte sich als Deutscher und bedauerte zutiefst, dass Judenhasser sagten: Dein Blut, deine Seele, deine Gesinnung hat keinen Teil an unserer Gemeinschaft. Du bist und bleibst anders geartet, unedel und fremd[30] Der Judenhass wurde vor allem nach 1920 immer virulenter. In diesem Jahr wurde im Parteiprogramm der Nationalsozialisten kategorisch aufgenommen, nur der könne Deutscher sein, der von deutschem Blute sei. Demnach sollte kein Jude Deutscher sein.[31]

Sie würden nicht zur nordischen Rasse gehören.[32] Deutlich ist, Rathenau verwendete keine explizite Rassentheorie, um damit Charakter oder genetische Eigenschaften von Menschen, Gruppen oder Völkern anzudeuten. Rassen sind nicht Ewigkeitsbegriffe, sondern Zeitbildungen.[33] Er beschrieb sie viel mehr als ein sozialpolitisches Phänomen, das Soziologen als soziale Stratifikation bezeichnen.

1.4. Judenhass in Deutschland etwa zwischen 1820 und 1922.

Die Französische Revolution von 1789 brachte mit ihrer Losung Liberte, Egalite et Fraternite einen historischen Umschwung zustande. In Europa reagierte man unterschiedlich. Frankreich selbst begann, die Juden als gleichberechtigte Bürger in die Gesellschaft aufzunehmen.[34] Die niederländischen Republiken regelten 1796 Gleichheit und Toleranz per Gesetz. In Preußen sollten die Juden gleiche Bürgerrechte erhalten. In 1792 wurde in Frankreich ein Jude in die Regierung gewählt, aber in 1808 legte Napoleon den Juden in seinem Decret infame den Handel einschränkende Maßnahmen auf. In Deutschland mussten die Juden auch die Beziehungen zu jüdischen Gemeinschaften außerhalb des Landes abbrechen. Man fürchtete einen zu großen Zustrom von Juden aus Osteuropa, denen der Ruch des Ghettos anhaftete.[35] Man fürchtete eine Ghettobildung.

Moses Mendelsohn

Die Argumente für und gegen gleiche Bürgerrechte in Deutschland, also für oder gegen Emanzipation und Toleranz finden sich exemplarisch in der Diskussion um den jüdischen Schriftsteller und Philosophen Moses Mendelsohn (1729-1786). Er kam als Vierzehnjähriger nach Berlin. Er meldete sich als Moses, Sohn des Thoraschreibers Mendel aus Dessau. Der Zollbeamte gab ihm den Familiennamen Mendelsohn.[36] Seine philosophischen und literarischen Schriften brachten ihm großes Ansehen in Europa ein. Er wurde Mitglied der Berliner Akademie der Wissenschaften. Aber selbst das konnte nicht verhindern, dass er bei einem Besuch in Dresden Gebühren zahlen musste, die für einen Juden genauso hoch waren wie für einen polnischen Ochsen.

Mendelsohn plädierte für eine vollständige Aufnahme der Juden in die Gesellschaft und für die Aufhebung aller gesetzlichen Bestimmungen, die dies verhinderten. Der preußische Archivar Christian Wilhelm Dohm und der preußische Minister Wilhelm von Humboldt unterstützten ihn darin.[37] Die Emanzipation wurde wohl durchgeführt, aber sie brachte keine bleibenden Resultate.[38]

Heinrich Heine

Im Lauf des 19. Jahrhunderts ließ ein großer Teil der jüdischen Oberschicht sich taufen, nicht jedoch Moses Mendelsohn. Man tat es, um damit eine Eintrittskarte in die europäische Kultur zu erhalten, so der Dichter Heinrich Heine (1795-1856).[39] Wie auch immer, der Judenhass beschränkte sich anfangs in Deutschland auf politische Diskussionen, in denen ökonomische, rassistische und religiöse Argumente eine wichtige Rolle spielten, die von Emotionen und Misstrauen geschürt wurden. Trotzdem versuchten die Liberalen in 1830 das jüdische Problem zu lösen, indem sie von den Juden verlangten, sie sollten aufhören mit dem Unterricht in hebräischer Sprache und Religion, mit der Beschneidung, der Einhaltung von Speisegesetzen und dem Feiern des Sabbats. Es war nichts weniger verlangt, als dass die Juden aufhören sollten, Juden zu sein, um Staats- und Gemeindebürger werden zu können.[40] Für liberale Politiker war das kein Problem, für sie war Religion Privatsache.

In 1846 sprach sich z.B. der Bayerische Landtag gegen die Gleichstellung der Juden aus. Sie seien unproduktiv, vor allem in der Landwirtschaft.[41] Als bald darauf der Ruf nach Emanzipation der Juden von allen Seiten erklang, wies Rudolf Emil Martin (1867-1916), Wirtschaftsprofessor an der Universität von Bonn, darauf hin, dass die Lehren des Talmudischen Judentums hinsichtlich der sittlichsozialen Lebensordnung einer solchen Emanzipation im Wege stehen.[42]

Friedrich Julius Stahl

Der Sohn eines jüdischen Kaufmanns, Friedrich Julius Stahl (1802-1861), der sich hatte taufen lassen, mischte sich auch in die (politische) Diskussion. Er behauptete, dass in einem christlichen Staat ein christliches Volk notwendig in einem Bande zur Kirche steht. Auf Grund dessen schlussfolgerte er, den Juden müssten rechtliche Einschränkungen auferlegt werden. Sie müssten von staatlichen Ämtern ausgeschlossen werden. Diejenigen seien zur Handhabung der öffentlichen Ordnung ermächtigt, welche den Sinn und die Prinzipien dieser Ordnung bekennen.[43] Christlich bedeutete für Stahl das Aufgeben der eigenen jüdischen Identität. Er entwickelte seine antijudaistischen Gedanken weiter, indem er einen Unterschied sah zwischen einem jüdischen und einem deutschen Stamm. Der innerste Zug des jüdischen Stammes von Natur ist Religion. Die natürliche Basis des germanischen Stammes ist Ehre, Trotz, eigenes Recht und Schönheit der Lebenssitte.[44] Stahl bewegte sich in einem Kreis von äußerst fanatischen Antijudaisten und Antisemiten. Das zeigte sich auch in seiner Auffassung über das mosaische Judentum. Der Geist des Mosaismus und deutsche sittliche Lebenswürdigung, Interesse für deutsches öffentliches Leben sind wie Wasser und Feuer, die nicht mit einander hausen können.[45] Dieser Stahl war weit entfernt von den Wurzeln des Christentums, der jüdischen Religion. Er sollte großen Einfluss bekommen auf die Entwicklung des Antisemitismus im preußischen Konservatismus in der Zeit der Kaiser Wilhelm I. (1871-1888) und Wilhelm II. (1888-1918). Obwohl Stahl jüdischer Abstammung war, wurde er der bedeutendste Theoretiker des preußischen Konservatismus.[46]

Karl Marx

In 1848 wurde in Preußen zum ersten Mal ein Parlament nach allgemeinem Wahlrecht gewählt. Die Regierung verabschiedete ein Gesetz, das die Ausübung staatsbürgerlicher Rechte unabhängig von dem religiösen Glaubensbekenntnis machte.[47] Theoretisch erhielten die Juden gleiche Rechte, aber praktisch blieben sie Bürger zweiter Klasse. Jemand wie der preußische König Friedrich Wilhelm IV. (1840-1862) wollte von demokratischen Regeln nichts wissen und sympathisierte mit Stahl. Stahl stand also nicht allein. Auch der Sohn eines protestantisch gewordenen jüdischen Anwalts, Karl Marx (1818-1883), nannte die Juden z.B. asozial. Sie würden nur für Geld leben. Das Geld ist der eifrige Gott Israels.[48] Der einflussreiche Komponist Richard Wagner (1813-1883) förderte seinerseits den Judenhass, indem er unter anderem auf die zu große Kluft zwischen der deutschen und der jüdischen Kultur hinwies.[49] Er sah die Lösung der jüdischen Frage in der Erlösung Ahasvers: dem Untergang.[50] Er meinte damit nicht einen physischen Untergang, sondern ein Aufgehen in einer neuen Identität. Ein Denker wie Nietzsche hat deshalb die Freundschaft mit Wagner aufgekündigt, obwohl noch mehr im Spiel war, wie z.B. eine persönliche Animosität.[51]

Heinrich von Treitschke

Nach 1878 wurde der Judenhass massiver, komplexer und virulenter. Um das zu erklären, muss man einige Ereignisse einbeziehen. Bismarck stritt sich mit den Nationalliberalen, der Partei, der viele Juden angehörten. Er meinte, Juden würden die nationale Einheit bedrohen. „Der eiserne Kanzler“ lenkte mit diesem Argument von seinen Problemen mit den Liberalen ab. Eine jahrelange ökonomische Krise erreichte in 1878 einen Tiefpunkt im Gründerkrach: 60 Banken und 120 Unternehmen gingen in Konkurs.[52] Man suchte einen Sündenbock und fand ihn in den Juden. Ihre Zahl nahm angeblich schnell zu. In Wirklichkeit ging ihre Anzahl durch Geburtenrückgang und Emigration zurück.[53] Der deutsche Historiker Heinrich von Treitschke (1834-1896) griff polemisch die unterstellte schnelle Zunahme der Juden auf und warnte in universitären Kreisen vor der Überfremdung durch Juden aus Osteuropa.[54]

Adolf Stoecker

Zu nennen ist weiter das Auftreten des Berliner Hofpredigers Adolf Stoecker (1835-1909). Er setzte seine antijudaistischen Vorstellungen um in ein politisches Programm. Er war der Gründer der Christlich-soziale-Partei und wurde in den Reichstag gewählt. Seine Reden waren im Ton demagogisch, aggressiv und rassistisch. Die Juden sind und bleiben ein Volk im Volke, ein Staat im Staat, ein Stamm für sich unter einer fremden Rasse.[55] Er schlug den Weg in Richtung Nationalsozialismus ein, wie der Abgeordnete Rudolf Virchow sinngemäß bemerkt hat: Er werde wirklich die Vernichtung der Juden fordern.[56]

 

 

Julius Langbehn

Der Autor Julius Langbehn (1851-1907) stellte sich ebenfalls bösartig auf den aufkommenden Nationalismus ein, indem er Blut, Rasse und Religion mit einander verband. Die Aussage das Blut ist das Leben (1. Mose 9,4; Hebräisch: die Seele) interpretierte er als das Blut ist der Mensch. Er meinte den deutschen Menschen, der durch sein Blut der größte und mächtigste sei. Der Deutsche beherrscht also, als Aristokrat, bereits Europa; und er beherrscht als Demokrat auch Amerika; es wird vielleicht nicht lange dauern bis er, als Mensch, die Welt beherrscht.[57]

 

Houston Stewart Chamberlain

Der Publizist Houston Stewart Chamberlain (1855-1927) führte die Gedanken von Langbehn weiter aus. Seit 1870 wohnte er in Deutschland, er propagierte das Ariertum und bekannte die Einheit von Rasse und Religion, Blut und Geist: genauer vom deutschen oder germanischen Blut und christlichen Geist.[58] Seine antijudaistischen und antisemitischen Schriften wurden zustimmend von Kaiser Wilhelm I. entgegengenommen und gelesen. Unter anderem durch sein Zutun wuchs der Judenhass. Rathenau sagte danach ängstlich und enttäuscht, dass der Jude als Bürger zweiter Klasse in die Welt getreten ist und keine Tüchtigkeit und kein Verdienst ihn aus dieser Lage befreien kann.[59] Rathenaus Vielseitigkeit, Ansehen und Vermögen waren für die Antisemiten gerade der Beweis für den unterstellten zu großen Einfluss der Juden in Deutschland.

Fritz Haber

Merkwürdig ist auch, dass Rathenau, der sich selbst und alle Juden in Deutschland als Bürger zweiter Klasse ansah, anfangs Verfechter eines deutschen Nationalstaates mit nationalistischen Ideen war.[60] Er scheint damals nicht gesehen zu haben, dass die Emanzipation der Juden weithin gelungen war; nur nahm gleichzeitig auch der Judenhass zu.[61] Bemerkenswert ist, dass der Ausbruch des Ersten Weltkrieges eine Welle von nationalistischem Enthusiasmus bei den deutschen Juden hervorrief. Dieser Enthusiasmus ist vielleicht vor dem Diasporahintergrund vieler Juden zu erklären, die dachten, sie hätten in Deutschland eine redliche Heimat gefunden. Viele meldeten sich als Soldat, sie wollten an die Front, um Gut und Blut für das deutsche Vaterland zu geben. In vielen jüdischen Herzen wohnte das deutsche Vaterland als unantastbarer und unsterblicher Begriff. In der deutschen Kriegswirtschaft waren Juden in leitenden Positionen tätig. Fritz Haber (1868-1934) machte z. B. als Chemiker die deutsche Waffenindustrie von Chilisalpeter unabhängig, indem er die Ammoniaksynthese entwickelte. Ohne diese Erfindung hätte Deutschland nach einem Jahr keine Munition mehr gehabt. Der Hamburger Reeder Albert Ballin (1857-1918) stellte Schiffe in den Dienst der nationalen Gemeinschaft. Rathenau organisierte die Rohstoffversorgung.

Albert Ballin

Nach 1918 erhielten sie hohe Auszeichnungen, aber Deutschland dankte selbst diesen Juden kaum für ihren Einsatz.[62] Haber starb in Gefangenschaft, Rathenau wurde erschossen und Ballin legte Hand an sich selbst. Einige Antisemiten würdigten den Einsatz der Juden im Krieg schon. Chamberlain schrieb z.B. in 1915, dass Deutschland [.] zehnmal so viele Juden [als England] zählt und wo sind sie jetzt! Wie weggeputzt von der gewaltigen Erhebung; als 'Juden' nicht mehr auffindbar, denn sie tun ihre Pflicht als Deutsche vor dem Feinde oder Daheim.[63] Es war nur Schein, die meisten Politiker würdigten die Juden wegen ihres Einsatzes nicht. Der Antisemitismus nahm während des Krieges zu, je mehr Verluste Deutschland erlitt.[64]

Gustav Landauer

In 1916 warnte der antisemitische Schriftsteller und Publizist Gustav Landauer (1870­1919), übrigens von Hause aus Jude und Mitglied im Forte-Kreis (Paragraph 1.4), wohlgemerkt vor der Ostjudengefahr.[65] Der stellvertretende Vorsitzende des Alldeutschen Verband, General Konstantin von Gebsattel, warnte den römisch-katholischen Adel von Bayern ebenfalls vor dieser Gefahr. Wie ein Heuschreckenschwarm werden Ost-Juden über das deutsche Reich herfallen; die Einschaltung von Militärbehörden sei ratsam.[66] Diese Auslassungen standen in krassem Kontrast zum Einsatz vieler deutscher Juden während des Krieges. Ost-Juden und deutsche Juden gehörten nicht zu einer Gruppe. Die deutschen Juden hatten ebenfalls viele Vorbehalte gegenüber den Ost-Juden. Judenhasser ließen sich hören. Ihr Antisemitismus hatte ein Ziel. Er stand im Dienst der Moral der Soldaten. Viele deutsche Juden im Heer wurden aufgrund von alten Vorurteilen gehasst und gedemütigt.[67] Rathenau stellte die Vorurteile an den Pranger, indem er in 1916 schrieb: Je mehr Juden in diesem Kriege fallen, desto nachhaltiger werden ihre Gegner beweisen, dass sie alle hinter der Front gesessen haben, um Kriegswucher zu betreiben. Der Hass wird sich verdoppeln und verdreifachen.[68]

Der Judenhass nahm nach dem Ende des Ersten Weltkriegs weiter zu. Ursachen waren alte Vorurteile, die Demütigung Deutschlands nach dem Ersten Weltkrieg durch die Alliierten, ökonomische Depression und eine nicht gut funktionierende Demokratie in der Weimarer Republik. Die Folge waren viele Anschläge. In Paragraph 1.1. habe ich schon beschrieben, dass zwischen 1918 und 1922 über 350 Politiker ermordet wurden, unter ihnen viele Juden. Einige bekannte Opfer waren Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg, Walther Rathenau und Maximilian Harden.

Die Versuche des Kanzlers Joseph Wirth, der Gewalt ein Ende zu bereiten, misslangen.

Der Alldeutsche Verband, der um 1920 200.000 Mitglieder zählte, rief zu terroristischen Aktivitäten auf. Weiter muss man den Namen des Sportjournalisten Karl Harrer nennen. Er war Mitglied der Thulegesellschaft und gründete im Januar 1919 gemeinsam mit dem Bankangestellten Anton Drexler und dem Maschinisten Michael Lotter eine politische Arbeiterpartei. Von Anfang an wehte dort ein kräftiger antisemitischer Wind. Das zeigte sich schon in der Ansprache Harrers vom Dezember 1918 mit dem Thema: Deutschlands größter Feind, der Jude.[69] Am 12. September 1919 wurde Adolf Hitler (1889-1945) Mitglied dieser Partei. In 1920 erhielt sie den Namen Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP). Am 29. Juli 1921 übernahm Hitler die Leitung und wurde bald mit Führer angesprochen. Seine ersten Schriften und Reden aus 1921 und 1922 zeugen schon von einem fanatischen Judenhass. Er rief auf zum Kampf. Seine Auslassungen und Aufrufe infizierten die deutsche Gesellschaft und griffen damit der Shoah vor.

Der Judenhass war in Theorie und Praxis um 1910 eine weit verbreitete Erscheinung gewesen. Antisemitismus und Anti-Judaismus erreichten ihre Blüte in Frankreich und Deutschland. Das Gedankengut der Französischen Revolution hatte in Frankreich einige Nachwirkungen, aber es war in Deutschland kaum auf fruchtbaren Boden gefallen.

1.5. Jüdische Reaktionen

Im Allgemeinen hatten viele Juden vor 1893 nicht den Mut, sich gegen den zunehmenden Antisemitismus zu verteidigen. Sie fürchteten antijüdische Reaktionen. Sie wollten Deutsche bleiben und hofften, der Antisemitismus würde von selbst verschwinden. Als in 1893 sechzehn antisemitische Mitglieder in den Reichstag einzogen, musste man feststellen, dass der deutsche Antisemitismus in eine virulente Phase eingetreten war.[70] Es kam zu Reaktionen von jüdischer und christlicher Seite. In Köln errichtete eine Gruppe von Christen den Verein Zur Abwehr des Antisemitismus. Sie hielten es für ihre christliche Pflicht, den Kampf gegen den Antisemitismus aufzunehmen und für den guten Namen Deutschlands einzutreten. In jüdischen Kreisen entstanden die Vereinigung Badischer Israeliten, das Comite zur Abwehr antisemitischer Angriffe und der Zentral-Verein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens.[71] Diesen Vereinen gehörten Juden an, die mehr oder weniger emanzipiert waren und die ihre eigene Tradition nicht oder kaum noch kannten.

Theodor Herzl

Der Prozess gegen Dreyfus in Frankreich (1894) bewirkte, dass die Juden anfingen, sich auf ihre eigene Identität zu besinnen.[72] Theodor Herzl (1860-1904), der ungarisch-jüdische Korrespondent der Wiener Zeitung Neue Freie Presse, der der Gerichtsverhandlung in Paris beigewohnt hatte, war zutiefst schockiert. Er konnte es nicht fassen, dass die Menge über die Degradation eines Juden jauchzt.[73] Sein erster Gedanke war, alle Juden in Deutschland aufzurufen, sie sollten sich taufen lassen.[74] Später kam er darauf zurück. Er überwand seine Verzweiflung, indem er eine Bewegung gründete, den Zionismus, der eine Rückkehr der Juden nach Palästina anstrebte. Herzl war in 1897 Vorsitzender des ersten

Zionistenkongresses in Basel. Mit der Gründung des Staates Israel in 1948 wurden die Ziele seines zionistischen Ideals zum größten Teil verwirklicht.

Ein ansteckender Antisemitismus und die Affäre Dreyfus haben dazu beigetragen, dass Juden wie zum Beispiel Martin Buber, Franz Rosenzweig, Gerhard Scholem und Rathenau ihre jüdische Identität (wieder) entdeckten. In der Folge schlossen Buber und Scholem sich dem Zionismus an. Sie emigrierten vor dem Aufkommen des Nationalsozialismus in das damalige Palästina. Rosenzweig, der in 1929 jung verstorben ist, Rathenau und die Mehrheit der deutschen Juden sahen dagegen ihre Aufgabe in Deutschland, dem Land ihrer Geburt und ihrer Vorfahren.

1.6. Höre, Israel!

Am 6. März 1897 veröffentlichte Rathenau unter dem Pseudonym W. Hartenau den Aufsatz

Höre, Israel! in der Zeitschrift Die Zukunft.[75] Er erschien in einer turbulenten Zeit, in der viele Juden nach ihrer Identität suchten. Der Titel stammt aus 5. Mose 6,4.[76] Der Essay beginnt mit den Worten Von vornherein will ich bekennen, dass ich Jude bin. Er erinnerte an die gesellschaftliche jüdische Kulturfrage [77] und forderte von den Juden Selbsterziehung, Selbstkritik und Einkehr. Juden müssten keine imitierten Germanen, sondern deutsch geartete und erzogene Juden werden. Weil er seine Volksgenossen aus Osteuropa als asiatische Horde bezeichnete, erntete er unter anderem von Herzl viel Kritik. Sicher ist, dass viele deutsche Juden die Ostjuden verachteten.[78] Rathenaus Vater drängte, die Schrift aus dem Handel zu ziehen, das passierte in 1902.

Rathenau hat sich später von diesem Aufsatz distanziert. Der Judenaufsatz war als Mahnung gedacht; in der unglücklichsten Stimmung meiner trübsten Zeit wurde es zur Anklage. Heute verstehe ich die Anklage kaum mehr.[79] Mit trübsten Zeit bezeichnete er die Periode seines Lebens, in der er seine jüdische Identität suchte und als Direktor der Fabrik in Bitterfeld schwere Jahre erlebte.

Nach Paul Letourneau, der Rathenaus politische und wirtschaftliche Visionen erforschte, fühlte Rathenau sich falsch verstanden, obwohl er selbst dafür Anlass gegeben hat.[80] Seine Rede von einer asiatischen Horde hat so viel Nachdruck bekommen, dass man das eigentliche

Ziel des Aufsatzes aus dem Auge verloren hat. Rathenau schrieb in einem Kontext von wachsendem politischem Antisemitismus und er erwartete nichts mehr vom Staat. Judenwurden von vielen Ämtern und Funktionen ausgeschlossen, es sei denn sie waren getauft. Für Rathenau bedeutete dies eine entwürdigende Prämie auf den Übertritt.[81] Zudem war für ihn die Taufe keine Lösung der jüdischen Frage, weder für die Juden noch für den Staat. Der Übertritt zum Christentum würde früher oder später zum Antisemitismus gegen Getaufte führen. Er bezeichnete die Forderung des Staates als rückständig, falsch, unsittlich und unzweckmäßig.[82] Deshalb wandte er sich an seine Stammesgenossen mit der Frage: Was tut Israel um vom Banne befreit zu werden?[83] Er rief zur Besinnung auf. Seine Überzeugung war: Höre, Israel: Der HERR ist unser Gott; der HERR ist Einer.[84] Er selbst strebte eine Assimilation aller Juden in Deutschland an unter Behalt ihrer eigenen Identität. In Höre, Israel! trug Rathenau einige undurchdachte Einfälle vor, die er später zurückgenommen hat.

Der deutsche Psychologe Peter Loewenberg, der das Verhältnis zwischen Antisemitismus und jüdischem Selbsthass untersucht hat, hielt Rathenaus Aufsatz für eine klassische Darlegung ethnischen Selbsthasses in seiner bösartigsten intellektualisierten Form.[85] Der deutsche Psychologe Jens Malte Fischer meint, dieser Selbsthass und Rathenaus Wort vom Antisemitismus gegen Getaufte hätten den Antisemitismus geschürt.[86] Es geht zu weit, mit Loewenberg aufgrund eines einzigen Aufsatzes in Rathenau einen Mann zu sehen, der sich selbst hasste. Rathenau suchte mit seinem Aufruf Höre, Israel! an die Juden in Deutschland nach seiner eigenen Identität, um mit ihr einen Platz in der deutschen Gesellschaft zu bekommen. Er wollte Deutscher und Jude sein und wurde vom Pathos deutsch-jüdischer Existenz getrieben.[87] Diese Triebfeder übersieht auch Letourneau.

Rathenau meinte, die Ursache des Judenhasses seiner Tage finde sich in der Furcht der in Preußen herrschenden Klasse vor liberalem Wettbewerb.[88] Der Unternehmer und Ökonom Rathenau bemerkte, dass der Judenhass auch in der Wirtschaft Auswirkungen hatte. Er rief den Staat und alle Bürger einschließlich der Juden auf, gemeinsam am Aufbau und Wohlergehen der Gesellschaft zu arbeiten.

1.7. Rathenau und der Zionismus

Rathenau war kein Zionist[89], aber er brachte großes Interesse dem Zionismus entgegen.[90] In der Korrespondenz zwischen Rathenau und Herzl zeigt sich, dass er mit lebhaftem Interesse die Versuche der Gründung eines jüdischen Staates verfolgte.[91] Sein Interesse zeigt sich in folgenden Fakten: Er lud Herzl nach Berlin ein, er schrieb ERETS JISRAEL mit hebräischen Buchstaben und er nahm einen Hebräischkurs, weil er Palästina besuchen wollte. Rathenau lernte nicht bei Buber Hebräisch, wie Harry Graf Kessler meinte, sondern bei einem russischen Juden, der 1971 noch in Israel lebte.[92] Rathenau gelang es wegen der vielen Arbeit nicht, Palästina zu besuchen, obwohl er ein dringendes Verlangen danach verspürte.[93]

Der Grund, warum Rathenau sich nicht dem Zionismus angeschlossen hat, findet sich in seiner Ansicht vom Staat. Er glaubte, die Nationalstaaten würden auf Dauer verschwinden. Der Zionismus des Wiener Journalisten Herzl, der in Budapest geboren wurde, war politischer Art. Für Herzl war die jüdische Frage ein nationales Problem. Die Juden, die wollen, werden ihren eigenen Staat haben.[94] Er wollte, alle Juden sollten sich seiner Bewegung anschließen und hatte kein Verständnis dafür, dass die meisten deutschen Juden Deutschland als ihr Vaterland ansahen. Ihre Losung war: Wir sind Deutsche oder wir sind heimatlos.[95] Rathenau hoffte auf eine friedliche Koexistenz zwischen Deutschtum und Judentum, obwohl er das Gefühl hatte, sie könne misslingen, weil der Judenhass so virulent gegenwärtig war.

Rathenaus Idee der Koexistenz basierte auf seiner Überzeugung, dass die Nationalstaaten überholt seien.[96] Die Gründung eines jüdischen Nationalstaates war für ihn nicht mehr zeitgemäß. Seines Erachtens war es ein Vorteil, dass die Juden kein eigenes Volk bildeten. Im Zionismus sah er zudem eine Bedrohung für die palästinensischen Araber (sic!), weil sie aus ihrem Land vertrieben würden. Er hatte Verständnis für die Emigration von Juden aus Osteuropa nach Palästina, weil sie dort von Pogromen bedroht wurden. Gute und regelmäßige Beratungen zwischen den Politikern müssten nach Rathenau ein friedliches Leben dieser Juden mit den Arabern ermöglichen.[97]

1.8. Exkurs: Christentum - Judentum

Es dürfte deutlich geworden sein, dass die gesellschaftliche, jüdische Kulturfrage nicht nur eine soziale, ökonomische und politische Seite hatte, sondern auch eine theologische und religiöse. In seinem Aufsatz Höre, Israel! rief Rathenau Staat und Kirche auf, den Juden einen Platz in der deutschen Gesellschaft einzuräumen, in der sie - wie in vielen Ländern - Jahrhunderte lang Opfer des Hasses gewesen waren. Vierzehn Jahre nach der Veröffentlichung dieses Aufsatzes war noch kein Echo zu bemerken.[98] Stattdessen hatten der Antisemitismus und der Antijudaismus noch zugenommen. Rathenau meinte, es müsse schnell dafür eine Lösung gefunden werden, dass Juden unter Wahrung ihrer Identität in Deutschland leben könnten. Er erstrebte eine Versöhnung zwischen Christen und Juden. Diese implizierte eine Koexistenz zwischen Deutschtum und Judentum. Rathenau meinte, zwei Bevölkerungsgruppen müssten friedlich nebeneinander leben können unter Wahrung ihrer jeweiligen eigenen (kulturellen) Identität. Er besaß insoweit Zuversicht.

Seine Haltung blieb jedoch ambivalent, denn Rathenau war sich einerseits bewusst, dass die Koexistenz misslingen könne, andererseits vertraute er darauf, dass sie gelingen werde.[99] Sein Vertrauen war darin begründet, dass für ihn Glaube und Kirche nicht identisch waren.

Ich halte die Kirchen für irdische Formen, Mechanisierungsformen. Er glaubte an die Möglichkeit des kirchenlosen Glaubens, der freien Gemeinde und des persönlichen Bekenntnisses.[100] Merkwürdig ist, dass er dies als Jude sagte, der sich mit allen Juden in Deutschland als Bürger zweiter Klasse ansah, und der trotzdem für den christlichen Staat und die religiöse Erziehung plädierte.[101] Er bemerkte dazu, jeglicher Zwang müsse ausgeschlossen werden. Die Technik wollte er aufdrängen, den Glauben nicht. Ein Zwang zur Verbreitung einseitig bestimmter Glaubensformen gebührt der Würde eines mündigen und gebildeten Volkes nicht.[102] Es erwies sich als Illusion. Es gab in der deutschen Gesellschaft keinen Raum für Juden, die die eigene Identität bewahren wollten. Eine Versöhnung kam nicht zu Stande. Vielmehr wuchs der Antisemitismus. Er endete in der Shoah. Rathenau hatte eine hohe Auffassung, die sich zugleich aber als naiv erwies.

Die Shoah, deren Modell das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau darstellt, wurde für westliche Christen Anlass und Ursache, die Bibel nun anders zu lesen und zu verstehen.

Durch die bittere und enttäuschende Wirklichkeit der Shoah konnte man nicht mehr länger an der Auffassung festhalten, dass das, was die Bibel über Israel sage, geistlich gelesen werden müsse. Schon aus moralischer Sicht hat die harte Wirklichkeit der Shoah dies unmöglich gemacht. Es entwickelte sich eine neue Besinnung auf das Verhältnis Christentum - Judentum, eine Besinnung, die dringend nötig war und ist, weil die Gefahr des Antijudaismus noch immer andauert. Die Frage ist berechtigt, ob die Kirchen sich dem Judentum nähern können, ohne in den Antijudaismus zu verfallen.[103] Für die Beantwortung dieser Frage bleibt die Kirchenordnung der Nederlandse Hervormde Kerk von 1951 noch immer hilfreich.[104] Unter der Überschrift Apostolat nennt sie als erstes das Gespräch mit dem Judentum. Die Begriffe befinden sich noch in einem Prozess der Entstehung. Sie greifen einem zukünftigen Gespräch vor, in dem die unaufgebbare Verbundenheit mit Israel eine Rahmenbedingung darstellt.[105] Rene Süss hat sich intensiv mit der Frage beschäftigt, welche Stellung Israel in der Hervormden Kirchenordnung einnehmen müsse. Er äußerte sich in 1984 wie folgt: een christelijk belijdenisgeschrift dient in het eerste artikel te spreken over haar verhouding tot het Joodse volk (Eine christliche Bekenntnisschrift muss im ersten Artikel von ihrem Verhältnis zum jüdischen Volk sprechen).[106] Die Kirchenordnung von 1951 und die Auffassung von Süss bilden einen bedeutsamen Ansatz, um mit der jahrhundertealten Tradition des Antijudaismus zu brechen. Die Hervormde Kirchenordnung von 1991 und der Entwurf der Kirchenordnung der drei Samen op Weg-Kirchen von 1994 haben inzwischen einige Fortschritte gebracht. (Auf die jüngsten Entwicklungen werde ich zurückkommen.) In beiden Kirchenordnungen steht: de kerk, delend in de aan Israel geschonken verwachting (Die Kirche hat Teil an der Israel geschenkten Erwartung). Die Entscheidung für delend in ist mutig, aber auch riskant. Im Blick auf die traurige Geschichte des Antijudaismus ist es erneut möglich, dass die Kirche den größten Teil für sich selbst reserviert. Eine (erneute) Besinnung auf das, was Paulus in Römer 9-11 schreibt, ist dringend nötig, um dem in der Kirche lauernden Hochmut ein Ende zu bereiten. Kroon, Smelik und andere, wie z.B. Schoon und Vreekamp, weisen auf diese Notwendigkeit hin.[107]

Paulus ging in seiner Zeit schon auf die Probleme ein, die entstehen könnten, wenn die christliche Gemeinschaft der Heidenchristen die Judenchristen dominieren würde. Die Geschichte hat gezeigt, das genau das passiert ist, was Paulus verhindern wollte. Die wilden Zweige, die in den Ölbaum eingepfropft sind, haben sich gegenüber den ursprünglichen Zweigen gerühmt (Röm 11:18).[108] Die Kirche der Heiden fühlte sich nicht nur im 19. und 20. Jahrhundert in Deutschland, sondern durch alle Jahrhunderte hindurch über das jüdische Volk erhaben. Stärker noch: Sie hat dieses Volk fortwährend unterdrückt, oder besser: Sie hing der Substitutionstheologie mit all deren Folgen an. Deshalb können Juden nicht unbefangen mit Christen umgehen, deren traditioneller Antijudaismus sich immer unerwartet zeigen kann.

Author John Barth

Wir nennen, ohne darin vollständig zu sein, einige Theologen, die den Antijudaismus bekämpft haben. Miskotte (1894-1976) hat 1932 die Bedeutung der Hebräischen Bibel und des Judentums für die Kirche gezeigt. Er brach mit dem jahrhundertealten Vorurteil, das aktuelle Judentum sei eine versteinerte Religion, die keine Bedeutung habe für die Kirche. Miskottes Ausdrucksweise sei allerdings verwirrend, so Smelik.[109] Barth (1886-1968) wies 1937 darauf hin, eine dogmatische Besinnung auf das Verhältnis Christentum - Judentum sei erst dann möglich, wenn man das Judentum wirklich kennen gelernt habe. Die Bibel als das Zeugnis von Gottes Offenbarung in Jesus Christus ist ein jüdisches Buch. Sie kann gar nicht gelesen, verstanden und erklärt werden, wenn wir uns nicht auf die Sprache, das Denken, die Geschichte der Juden in gänzlicher Offenheit einlassen wollen, wenn wir nicht bereit sind, mit den Juden Juden zu werden.[110] Rene Süss hat jedoch darauf hingewiesen, dass Barth nicht so pro jüdisch war, wie das Zitat vermuten läßt. Bei seinem Abschied als Pastor der Nederlandse Hervormde Kerk hat er Barths Israeltheologie sogar als Endlösungstheologie bezeichnet, eine Theologie, die noch nicht überwunden ist.[111] Bonhoeffer (1906-1945) schrieb im Herbst 1940:Die abendländische Geschichte ist nach Gottes Willen mit dem Volk Israel unlöslich verbunden, nicht nur genetisch, sondern in echter unaufhörlicher Begegnung.[112] Van Ruler (1908-1970) seinerseits behauptete 1948, dass in der Begegnung und Konfrontation mit Israel de kerk slechts dit is, dat er einige wilde takken op de stam van Israel zijn geent (die Kirche nur einige wilde Zweige bildet, die in den Stamm Israel eingepfropft sind).[113] Die Kirche steht an zweiter Stelle. In der Hervormden Kirchenordnung von 1991 heisst es in Artikel VIII-2: Die Kirche sucht das Gespräch mit Israel [...]. Als diese Änderung 1988 in erster Lesung angenommen war, schrieb Blei: en dat staat er nu: de kerk zoekt het gesprek (Und das steht jetzt darin: die Kirche sucht das Gespräch).[114] In der Kirchenordnung der drei Samen-op- Weg-Kirchen von 2002 steht in Artikel 1-7: de kerk is geroepen gestalte te geven aan haar onopgeefbare verbondenheid met het volk Israel. Als Christusbelijdende geloofsgemeenschap zoekt zij het gesprek met Israel inzake het verstaan van de Heilige Schrift, in het bijzonder betreffende de komst van het Koninkrijk van God. (Die Kirche ist berufen, ihrer unaufgebbaren Verbundenheit mit dem Volk Israel Gestalt zu geben. Als Christus bekennende Glaubensgemeinschaft sucht sie das Gespräch mit Israel über das Verstehen der Heiligen Schrift, insbesondere in Bezug auf das Kommen des Reiches Gottes.) Es klingt hoffnungsvoll, dass die Kirche in Artikel I ihre Berufung und unaufgebbare Verbundenheit mit dem Volk Israel ausspricht. Aber muss man jetzt nicht vom Staat Israel sprechen statt vom Volk Israel? Auch heißt es: die Kirche sucht, in der Hoffnung, dass wirklich ein Gespräch zustande kommt. Das klingt offen, ehrlich und bescheiden. Aber bringt Suchen nicht den klassischen kirchlichen Drang zur Judenmission zum Ausdruck?

Geschichtliche Realität ist ,dass die Heidenchristen die Worte des Paulus in Römer 11:11 noch kaum verstanden haben.[115] Zu Recht stößt der grenzenlose Anspruch der Judenmission auf großen Widerstand. Wie können Christen, die in einer fast 2000-jährigenTradtion von Schmach und Terror gegenüber den Juden stehen, erwarten, dass die Juden sich ihnen anschließen werden? Petrus und Paulus hatten als Juden das Recht, anderen Juden zu verkündigen, dass Jesus der Messias ist. Wenn Heidenchristen dasselbe tun, nach allem, was man in Jesu Namen den Juden angetan hat, zeugt das eher von Unverschämtheit und Gefühllosigkeit als von einem großen Glauben. Es ist höchste Zeit, dass der Begriff selbst, aber auch die Absicht zur Judenmission aufgegeben werden. Heidenchristen können mit einer demütigen Haltung an Juden herantreten und - wenn diese das wollen - dienend, hörend und lernend ein Gespräch führen.

Im Blick auf die traurige Geschichte von Antisemitismus und Antijudaismus sind eine Besinnung auf die jüdischen Wurzeln des christlichen Glaubens und ihre neue Würdigung notwendig. Ausgangspunkt dieser Neubesinnung über das Verhältnis zwischen dem jüdischen Volk und der Kirche muss Gottes Erwählung sein. Darin steht Israel im Mittelpunkt als eine von Gott ausgesonderte Nation und als Licht der Völker. Aus diesem Bewusstsein heraus bleibt die Kirche davor bewahrt, die fette Wurzel des Ölbaums, die sie trägt und nährt, herauszureißen und zu verbrennen (Röm. 11:18), und wird so ihren Platz finden zwischen den Zweigen des Ölbaums.

Es hängt von der Kirche ab, ob sie eine Einladung zum Gespräch erwarten kann. Voraussetzung ist, dass sie wirklich in Wort und Tat bereit ist zu dienen, zu hören und zu lernen. Weshalb diese Vorbedingung? Die kürzeste Antwort darauf, die ausreichen müsste, lautet: weil die Christen Jesus nachfolgen, der 'ein Diener der Juden geworden' ist (Röm. 15:8), das bedeutet: ein Diener des jüdischen Volkes. Jesus sah dies als seine wichtigste Aufgabe an und das müsste auch für seine Nachfolger gelten. Die Kirche kann eine christliche Dienstpflicht nicht verweigern.[116] Sie muss lernen, dass die Juden zuerst berufen sind. Heidenchristen sind hinzugekommen. Die Kirche darf das Zeugnis des Tanach (mit)lesen als Gottes Geschöpfe, die den Namen der Kinder Zions tragen und dem Volk Israel einverleibt sind (Reimpsalm 87).[117] Außerdem muss die Kirche, die in ihrer Kirchenordnung den Begriff Israel verwendet, die Eigenständigkeit des jüdischen Volkes würdigen. Dazu gehört das Verständnis, dass der Staat Israel (auch) ein Volk bildet.

Bei einer solchen Gesprächsvorbereitung muss die Kirche sich fragen, ob sie den Begriff Schisma noch benutzen darf. Wenn sie weiterhin über ein Schisma zwischen Kirche und Synagoge sprechen will, muss sie bedenken, dass die beiden nie eine Einheit gebildet haben und dass sie damit über die Köpfe der Juden hinweg redet. Eine jüdisch-christliche Tradition hat es nie gegeben. Weder die Rede vom Schisma noch die Zwei-Reiche-Lehre bilden eine Lösung für die christliche Annäherung an das Judentum. Die Bildersprache des Paulus in Römer 11:17-18, die Heidenchristen zur Bescheidenheit aufruft, kann in der heutigen Situation vielleicht zu einer Gesprächseröffnung führen. Dann wird die Kirche, die sich bis heute als derde geslacht (drittes Geschlecht) verstanden hat, ihre Haltung gegenüber den Juden bestimmen können. Zij moet zieh bewust midden in de wereld van de volken [...] plaatsen. Zij moet dus niet meer de wens koesteren een derde geslacht tussen Joden en gojim te vormen, en zal zich er niet meer toe moeten laten verleiden daardoor rechts de Joden en links de gojim geestelijk te neutraliseren (Sie muss sich bewusst mitten in die Welt der Völker [.] stellen. Sie muss nicht mehr den Wunsch hegen, ein drittes Geschlecht zwischen den Juden und den Heiden zu bilden. Sie wird sich nicht mehr dazu verführen lassen, dadurch rechts die Juden und links die Heiden geistlich zu neutralisieren.)[118] Die Kirche muss theologisch und existenziell lernen, dass das Dazwischen Gott gehört. Die Zeit ist gekommen, in der die Kirche lernt, ihre Verwandtschaft mit den Juden zu würdigen, denn das Christentum ruht auf jüdischen Fundamenten.[119] Dann vermeidet sie eine Usurpation Israels und dann können vielleicht Vorurteile, Intoleranz und eine erzwungene Entfremdung der Juden von ihrem eigenen Hintergrund vermieden werden, unter denen Rathenau so gelitten hat. Darin läge zugleich eine würdige Ehrbezeugung gegenüber dem unverstandenen deutschen Juden Rathenau.

1.9 Zusammenfassung und Schlussfolgerung

Die Französische Revolution von 1789 brachte mit ihrem Ruf Liberte, Egalite et Fraternite eine historische Umwälzung. Die Juden sollten als gleichberechtigte Bürger in die Gesellschaft aufgenommen werden. Die alten Gegensätze zwischen Juden und Nichtjuden blieben jedoch weiter bestehen. Juden blieben Bürger zweiter Klasse. Bis 1878 beschränkte sich der Judenhass in Deutschland auf politische Diskussionen. Als 1878 eine Wirtschaftskrise ihren Höhepunkt erreichte, suchte man einen Sündenbock und fand ihn in den Juden. Danach wurde der Judenhass massiver, komplexer und virulenter. Der Berliner Hofprediger Stoecker wünschte z.B. die physische Ausrottung der Juden. Kaiser Wilhelm II. nahm zahllose antisemitische Schriften zustimmend zur Kenntnis. Bemerkenswert ist, dass viele Juden wie Rathenau im Ersten Weltkrieg an herausragender Stelle tätig waren. Der Judenhass nahm nach dem Ersten Weltkrieg zu und endete schließlich in der Shoah.

Vor 1893 reagierten die Juden kaum auf den wachsenden Antisemitismus, weil sie Deutsche bleiben wollten und dachten, der Antisemitismus würde von selbst verschwinden. Als 1893 sechzehn antisemitische Parlamentarier in den Reichstag gewählt wurden und sich 1894 die Sache Dreyfus ereignete, fingen viele Juden an, sich auf ihre Identität zu besinnen. Der ungarisch-jüdische Korrespondent Theodor Herzl, der dem Gerichtsverfahren gegen Dreyfus in Paris beigewohnt hatte, stand an der Wiege des Zionismus. Diese Bewegung strebte eine Rückkehr der Juden nach Palästina an. Der erste zionistische Kongress wurde 1897 in Basel abgehalten. Rathenau war kein Zionist, weil er die Gründung eines jüdischen Staates für überholt hielt. Er hoffte auf eine Koexistenz zwischen Deutschtum und Judentum, obwohl er das Gefühl hatte, sie könne misslingen.

1897 veröffentlichte Rathenau seinen Aufsatz Höre, Israel!. Weil er seine Volksgenossen darin als eine asiatische Horde bezeichnet hatte, waren die Reaktionen negativ, obwohl viele deutsche Juden die Ostjuden verachteten. Rathenau veröffentlichte diesen Aufsatz in der schwersten Periode seines Lebens. Er suchte nach seiner jüdischen Identität und er wollte nicht zu den Schwachen, sondern zu den Starken gehören. Später distanzierte er sich von diesem Aufsatz. Es führt zu weit, allein wegen dieser einen Schrift Rathenau Antisemitismus und Selbsthass vorzuwerfen, auch wenn er sich selbst nicht glücklich ausgedrückt hat. Rathenau hat versucht, für sich selbst und seine Volksgenossen einen Platz in der deutschen Gesellschaft zu suchen. Er rief den Staat und alle Bürger einschließlich der Juden auf, gemeinsam an dem Aufbau und Wohl der ganzen Gesellschaft zu arbeiten. Aber er fand kein Gehör. Der Antisemitismus wuchs sogar noch.

Die Auffassungen von Marr deckten sich anfangs nicht mit dem Antijudaismus, der theologisch-kirchlicher Art und 1800 Jahre älter ist als der rassistische Antisemitismus. Später deckten sie sich wohl, weil Kirche und Staat in Deutschland miteinander verwoben waren.

Der Judenhass innerhalb und außerhalb der Kirche hat seinerseits mit zur Shoah geführt. Die bittere und enttäuschende Wirklichkeit der Shoah lässt westliche Christen die Bibel nun anders lesen und verstehen. Was die Bibel über Israel sagt, kann man nicht mehr nur geistlich verstehen. Die Kirchen können sich dem Judentum nur noch nähern, wenn sie ihre hochmütige Einstellung und die Absicht zur Judenmission aufgeben. Eine Besinnung auf das, was Paulus u. a. in Römer 11:11, 17 und 18 schreibt, ist dringend notwendig. Wenn die Kirchen die jüdischen Wurzeln des christlichen Glaubens mehr in den Blick bekommen, werden vielleicht Vorurteile, Intoleranz und Zwang verschwinden, unter denen die Juden einschließlich Rathenau so gelitten haben.

Um 1900 dachte man weithin rassistisch. Man denke etwa an den bereits erwähnten deutschen Journalisten Marr. Er sprach von der jüdischen Rasse statt vom jüdischen Volk.

Auch Rathenau benutzte unter Einfluss von Gobineau den Begriff Rasse in seinen frühen Schriften. Das war ziemlich naiv, wie wir im Nachhinein feststellen müssen. Er beschrieb damit mehr ein sozialpolitisches Phänomen und vertrat keine Rassentheorie. Rassen sind Zeitbildungen, so Rathenau. Er distanzierte sich vom Begriff Rasse, als er merkte, dass Antisemitismus, Nationalismus und Rassismus zunahmen


[1] Vgl. R. Rürup, 'Antisemitismus und Judentum', in: H.D. Hellige, Geschichte und Gesellschaft, 5 (1979), 477ff. Vgl. P. Gay, Freud, Jews and Other Germans. Masters and Victims in Modernist Culture, Oxford 1978, 189­230.

[2] Vgl. J. Toury, 'Der Eintritt der Juden ins deutsche Bürgertum', in: H. Liebeschutz und A. Paucker, Das Judentum in der deutschen Umwelt 1800-1850, Tübingen 1977, 148 und 149.

[3] Vgl. A. Kerr, Walther Rathenau. Erinnerungen eines Freundes, Amsterdam 1935, 39-42.

[4] Vgl. P. Loewenberg, 'Antisemitismus und jüdischer Selbsthass', in: H.D. Hellige, Geschichte und Gesellschaft

[5] (1979), 477ff. Er ist von H. Graf Kessler beeinflusst, in: Graf Kessler, Walther Rathenau, 59. 5 Vgl. Swarsensky, 'Walter Rathenau', 14, 27 und 28.

[6] Rathenau, Eine Streitschrift vom Glauben, 117.

[7] Vgl. C.P. van Andel, Joodenhaat en jodenangst. Over meer dan twintig eeuwen antisemitisme, Amersfoort und Voorburg 1983, 177.

[8] H. Baarlink, Anti-Judaisme in het oudste Evangelie?, Kampen 1979, 5ff. Die “Substitutions-Theologie”, also die Auffassung, dass die Kirche Israel abgelöst hat, ist ein Exponent des Antijudaismus. Johannes 4, 22: Ihr wisst nicht, was ihr anbetet; wir wissen aber, was wir anbeten; denn das Heil kommt von den Juden. Römer 11, 18: So rühme dich nicht gegenüber den Zweigen. Rühmst du dich aber, so sollst du wissen, dass nicht du die Wurzel trägst, sondern die Wurzel trägt dich.

[9] Vgl. Klaas A.D. Smelik, Anti-Judaisme en de kerk, Baarn 1993, 65-72.

[10] H. Greive, Geschichte des modernen Antisemitismus in Deutschland, Darmstadt 1983. Vgl. J.M. Snoek, The Grey Book, Assen 1969.

[11] Smelik, Anti-Judaisme en de kerk, 30-32. Matthäus 27, 25: Da antwortete das ganze Volk und sprach: Sein Blut komme über uns und unsere Kinder!

[12] Vgl. T. Nijhuis, 'Max Weber über Rassen', in: Historische Mitteilungen der Ranke-Gesellschaft, 7 (1994) 210ff.

[13] F.A. Gobineau, Essai sur l’inegalite des races humaines, Paris 1853/54. Gobineaus Auffassungen haben Wagners Musiktexte beeinflusst. Vgl. W. Rathenau, An Deutschlands Jugend, Gesammelte Schriften, Band 6, Berlin 1929, 171.

[14] Vgl. C. Essner, 'Im Irrgarten der Rassenlogik oder nordische Rassenlehre und nationale Frage (1919-1935)', in: Historische Mitteilungen der Ranke-Gesellschaft, 7 (1994), 82ff.

[15] Vgl. Smelik, Anti-Judaisme en de kerk, 65-72.

[16] Offener Brief von W. Marr, veröffentlicht in der Zeitung Courier an der Weser, Bremen, 13. Juni 1862, Supplement zu Nr. 161. Zitiert von Smelik, in: Anti-Judaisme en de kerk, 70.

[17] Antijudaismus kann den Nährboden bilden für Antisemitismus, wie es sich in den Dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts gezeigt hat. Er bewirkte die Shoah mit. Für mich ist der Begriff Shoah (= Ausrottung der Juden durch die Nazis) richtiger als Holocaust (= Brandopfer). Holocaust hat einen religiösen Nebenklang und erweckt den Eindruck, es habe geschehen müssen. Shoah deutet die Sinnlosigkeit des Mordens an.

[18] Im Antijudaismus gibt es fünf unterschiedliche Auffassungen über das Verhältnis von Judentum und Christentum. Sie werden angedeutet als Ersatz-, Integrations-, Chiliasmus-, Zweiwege- und Schisma-Modell. vgl. Smelik, Anti-Judaisme en de kerk, 143-149. Vgl. C. den Boer (Hrg.), Zieht op Israel. Israel in het licht van de Bijbel en in de traditie van de Reformatie, 's-Gravenhage 1983, 7-34.

[19] Eben in Klammern: Wie schreiben wir (im Niederländischen, gjb) J/jude? Mit großem oder kleinem Anfangsbuchstaben? Ist der Jude Anhänger einer Religion, wird er (im Niederländischen, gjb) klein geschrieben. Ob man Jude ist oder nicht, wird aber nicht von religiösen Gründen bestimmt, sondern auf Basis der Abstammung mütterlicherseits. Das Wort Jude als ethnische Andeutung muss (im Niederländischen, gjb) mit einem großen Anfangsbuchstaben geschrieben werden. Vgl. P.A. Siebesma, Tussen Jodendom en Christendom, Kampen 1996, 34-38.

[20] Vgl. Graf Kessler, Walther Rathenau, 220. Vgl. R. Stollte, Walter Rathenau und Constantin Brunner, Aspekte einer außergewöhnlichen Beziehung, Essen 1995, 173.

[21] Brief von Rathenau an F. von Müfling, 14.04.1917, in Rathenau, Briefe, Band 1, 253 und 254.

[22] Vgl. W.J. Mommsen, Max Weber und die deutsche Politik 1890-1922, Tübingen 1964, 24 und 30. Vgl. T. Nijhuis, 'Max Weber über Rassen', in Historische Mitteilungen der Ranke-Gesellschaft, 7 (1994), 213.

[23] Rathenau, Zur Kritik der Zeit, 29-37.

[24] Rathenau, Staat und Judentum, 197.

[25] Rathenau, Zur Kritik der Zeit, 92.

[26] Ibidem, 34.

[27] Ibidem, 30-34.

[28] Brief von Rathenau an J. Landmann, 20.01.1914, in: Rathenau, Briefe, Band 1, 131.

[29] Siehe unter anderem den Brief von W. Schwaner an W. Rathenau vom 23.01.1916, in: Rathenau, Briefe, Band 1, 202-205, speziell 204.

[30] Rathenau, Staat und Judentum, 198.

[31] Vgl. J. von Uthmann, Joden en Duitsers. Een pathologische verhouding, Bussum 1979, 27.

[32] Vgl. Essner, Irrgarten der Rassenlogik, 82.

[33] Rathenau, Zur Mechanik des Geistes, 181.

[34] Berr-Isaak Berr, ein jüdischer Kämpfer in Frankreich für gleiche Rechte für alle Menschen, freute sich über die Revolution, in: W. Kampmann, Deutsche und Juden, Heidelberg 1963, 124. Groen van Prinsterer hat in seinem Buch Ongeloof en Revolutie, Kapitel 13, gezeigt, dass die Revolution die Intoleranz nicht aufgehoben hat.

[35] Vgl. Katz, Vom Vorurteil bis zur Vernichtung. Der Antisemitismus 1700-1933. München 1989, 33ff. In der jüdischen Gemeinschaft unterscheidet man zwei Traditionen: die Askenasim in Deutschland und Osteuropa und die Sefardim in Spanien und Portugal und an anderen Orten, in die sefardische Juden 1492 gezogen sind. Die Ostjuden gehören zu den Askenasim.

[36] Vgl. Von Uthmann, Joden en Duitsers, 31.

[37] Vgl. Dohm, Über die bürgerliche Verbesserung der Juden, Stettin 1881/83. W. von Humboldt, Über den Entwurf zu einer neuen Konstitution für die Juden, Frankfurt am Main 1871, 114-128.

[38] Vgl. J. Katz, Die Entstehung der Judenemanzipation in Deutschland und deren Ideologie, Darmstadt 1982, 33ff. Vgl. Smelik, Anti-Judaisme en de kerk, 65ff.

[39] Vgl. Von Uthmann, Joden en Duitsers, 33.

[40] Kampmann, Deutsche und Juden, 176.

[41] J. Döllinger, Drei Reden, gehalten auf dem Bayerischen Landtage 1846, Regensburg 1846, 57-84.

[42] Vgl. J. Rebbert, Blicke in's Talmudische Judenthum, Paderborn 1867, 5.

[43] F.J. Stahl, Der christliche Staat, Berlin 1847, 8 und 25.

[44] Ibidem, 40.

[45] Ibidem, 40.

[46] Hellige, Walther Rathenau und Maximilian Harden, 48 und 49.

[47] Greive, Geschichte des modernen Judentums in Deutschland, 36.

[48] K. Marx, Zur Judenfrage, Stuttgart 1844, 204.

[49] J. Katz, Richard Wagner. Vorbote des Antisemitismus, Königstein/Ts. 1985, 59-65.

[50] R. Wagner, 'Das Judentum in der Musik', Leipzig 1869. L. Baeck meint, dass die pessimistische Philosophie von Schopenhauer Wagner beeinflusst habe. Vgl. L. Baeck, Wandlungen der Weltanschauung und Parteien, LBI Year Book, Band III, New York 1958, 363ff.

[51] F. Nietzsche, 'Menschliches, Allzumenschliches', in: W. Kaufmann, Nietzsche-Philosoph-Psychologe- Antichrist, Darmstadt 1982, 48.

[52] Vgl. K.H. Silber, Deutsche Geschichte 1866-1945, München 1985, 85.

[53] Vgl. Elbogen und Sterling, Die Geschichte der Juden in Deutschland, 249.

[54] H. von Treitschke, 'Die jüdische Einwanderung in Deutschland', in: W. Boehlich, Der Berliner Antisemitismusstreit, Frankfurt am Main 1965, 235ff.

[55] A. Stoecker, Christlich-sozial -Reden und Aufsätze, Berlin 1890, 127 und 367.

[56] Elbogen und Sterling, Die Geschichte der Juden, 260.

[57] J. Langbehn, Rembrand als Erzieher, Leipzig 1890, 40 und 222ff. Dieses Buch erreichte in drei Jahren 42 Auflagen. Vgl. C. Menck, 'Die falsch gestellte Weltenuhr. Der Rembrandtdeutsche Julius Langbehn', in: Propheten des Nationalismus, München 1969, 102.

[58] H.S. Chamberlain, Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts, München 1899, 199 und 250.

[59] Rathenau, Staat und Judentum, 189.

[60]  'Höre, Israel!', in: Rathenau, Impressionen, 3.

[61] Vgl. Katz, Vom Vorurteil bis zur Vernichtung, 41.

[62] Vgl. Von Uthmann, Joden en Duitsers, 44.

[63] H.S. Chamberlain, Kriegsaufsätze, München 1915, 46.

[64] Vgl. W. Jochmann, Die Ausbreitung des Antisemitismus, Tübingen 1971, 409, 410, 415 und 427.

[65] G. Landauer, 'Der Jude', Oktober 1916.

[66] Vgl. Jochmann, Die Ausbreitung des Antisemitismus, 409, 410, 415 und 427.

[67] Vgl. J. Wassermann, Mein Weg als Deutscher und als Jude, Berlin 1921, 38ff.

[68] Zitat von Rathenau, in: Jochmann, Die Ausbreitung des Antisemitismus, 409.

[69] Vgl. Greive, Geschichte des modernen Antisemitismus in Deutschland, 122.

[70] Vgl. M. Broszat, Der Nationalsozialismus. Weltanschauung, Programm und Wirklichkeit, Stuttgart 1961, 29ff.

[71] Vgl. J. Borut, 'Der Zentral-Verein und seine Vorgeschichte', in: Jüdischer Almanach 1996, Frankfurt am

Main 1995, 99ff. Er sieht einen Zusammenhang zwischen dem Verschwinden des Systems der Honoratiorenpolitik, dem politischen Massenmarkt und dem wachsenden Antisemitismus, 101 und 105.

[72] Alfred Dreyfus (1859-1935) wurde anstelle des echten Spions Esterhazy (1847-1923) zu einer langen

Verbannungsstrafe verurteilt, weil ein antisemitischer Kriegsrat ihn nicht freisprechen wollte. Vor allem der Einsatz von E. Zola (1840-1902) in J'accuse (1898) führten schließlich zu seiner Rehabilitation: Belastende Dokumente hatten sich als Fälschung erwiesen.

[73] Vgl. L. Elbogen, Ein Jahrhundert jüdischen Lebens, Frankfurt am Main 1976, 265.

[74] Vgl. R. Kallner, Herzl und Rathenau. Wege jüdischer Existenz an der Wende des 20. Jahrhunderts, Stuttgart 1976, 74ff.

[75] Rathenau, Impressionen, 3. Die Zukunft war eine kultur-ökonomische Zeitung, die Maximilian Harden, ein Freund Rathenaus, gegründet hatte. Nach E. Schulin sind Abschnitte des Aufsatzes noch von den Nazis [...] genüsslich zitiert, in: Loeffler, Walther Rathenau. Ein Europäer im Kaiserreich, 156.

[76] 5. Mose 6,4 Höre, Israel, der HERR ist unser Gott, der HERR allein.

[77] Nach L. Baeck stand Rathenau in der Tradition von M. Mendelssohn und M. Hess, in: L. Baeck, Von Moses Mendelssohn zu Franz Rosenzweig, Stuttgart 1958, 35-38. M. Mendelssohn setzte sich für eine Assimilation der Juden ein unter Wahrung ihrer eigenen Identität. M. Hess trat für seine sozial schwächeren Volksgenossen ein. Für L. Baeck sind Rathenau und F. Rosenzweig die bedeutendsten Personen in der deutsch-jüdischen Geschichte des 20. Jahrhunderts.

[78] E. Schulin, Walter Rathenau Repräsentant, Kritiker und Opfer seiner Zeit, 39ff.

[79] Brief an W. Schwaner vom 17.07.1914, in: Rathenau, Briefe, Band 1, 154.

[80] P. Letourneau, Walter Rathenau (1867-192), Quebec 1987, 35.

[81] Rathenau, Höre, Israel!', 18.

[82] Rathenau, Staat und Judentum, 190.

[83] Rathenau, 'Höre, Israel!', 6. Die Entwicklungen im spätmittelalterlichen Spanien und die Verfolgung getaufter Juden durch die Nazis (Edith Stein) zeigen, dass Rathenau in dieser Hinsicht Recht hatte.

[84] Dies war die Basis der Freundschaft mit C. Brunner, in: R. Stollte, Walther Rathenau und Constantin Brunner, Essen 1995, 157.

[85] P, Loewenberg, 'Antisemitismus und jüdischer Selbsthass', in: Heilige, Geschichte und Gesellschaft, 5 (1979), 455ff. Er ist von Kessler beeinflusst, Walther Rathenau. Sein Leben und sein Werk, 59.

[86] Rathenau meinte, der Übergang zum Christentum führe früher oder später zum Antisemitismus gegen Getaufte. Fischer hat dies so erklärt, als habe Rathenau alle Juden aufgerufen, sich taufen zu lassen, und als habe er sie gehasst. Rathenau sei einer der ärgsten Antisemiten gewesen. Falsche Interpretationen und Vorurteile wirken bis in die heutige Zeit, in: J.M. Fischer, Identifikation mit dem Aggressor? Zur Problematik des jüdischen Selbsthasses um 1890, Band 3, Memora 1992, 23ff. Anna Freud, die Tochter von Sigmund Freud, erklärte den Hintergrund für den Ausdruck Selbsthass in A. Freud, Das Ich und die Abwehrmechanismen, Frankfurt am Main 1984, 85ff.

[87] A. Friedlander, Leo Baeck. Leben und Lehre, Stuttgart 1973, 251. Er bezieht sich auf L. Baeck, Von Moses Mendelssohn zu Franz Rosenzweig, Stuttgart 1958, 42.

[88] Rathenau, Staat und Judentum, 197.

[89] Rathenau, Briefe, Band 2, 112.

[90] Vgl. Kallner, Herzl und Rathenau, 80.

[91] Vgl. A. Bein, den Biographen von Herzl. Er hat in der Jüdischen Welt-Rundschau vom 7. Juli 1939 elf Briefe aus den Jahren 1901 bis 1903 publiziert.

[92] Vgl. S. Aron, 'Hadoar', 20. Januar 1967. Aus dem Hebräischen ins Deutsche übersetzt von M. Busyn, Archiv G. Schilling, 1971, 15. Der Name des russischen Juden wird in der Korrespondenz zwischen Rathenau und Buber nicht genannt, in: The Jewish National and University Library, Martin Buber Archiv, Jerusalem 1998, 610.

[93] Brief von Rathenau an J. Kaliski, einem der Leiter des 'Poale Tsion', einer zionistischen Arbeiterbewegung, in Aron, 'Hadoar', 17.

[94] T. Herzl, Vorrede zu Der Judenstaat, 1896, in: S. Heil, Die neuen Propheten, Fürth-Erlangen 1969, 167.

[95] Vgl. G. Schoeps, Zionismus. Texte zu seiner Entwicklung, Wiesbaden 2. Aufl. 1983, 27.

[96] Er bemerkte dabei, dass die Einigung Europas früher kommen werde als wir denken, in W. Rathenau, Neue Ziele, Gesammelte Schriften, Band 1, Berlin 1929, 6.

[97] Die Wirkungsgeschichte dieses Gedankens zeigt, dass trotz großer Anstrengungen von Politikern der internationalen Politik diese Integration noch immer mühsam ist.

[98] Rathenau, Eine Streitschrift vom Glauben, 97-119.

[99] Rathenau, Eine Streitschrift vom Glauben, 117.

[100] Ibidem, 117-119.

[101] Ibidem, 118.

[102] Ibidem, 118.

[103] Vgl. J. van den Herik, Een voorganger over Israel, Kampen 1988, 28-49, vor allem 29 und 30. Van den Herik beschreibt das Leben von K.H. Kroon, der als Pastor in Amsterdam kurz nach dem Zweiten Weltkrieg feststellte, dass das Verhältnis zwischen Kirche und jüdischem Volk von einer Randfrage zur zentralen Frage der Christenheit werden müsse. Römer 9 - 11 war der Ausgangspunkt seiner Besinnung.

[104] Die jüdische Seite erkannte die Entwicklung von der Mission zum Gespräch an. The Reformed Church of the Netherlands was also the first to mould a more positive theological approach to Judaism and to advocate the adoption of a dialogue in place of missionary activities, in: Encyclopaedia Judaica, Jerusalem 1978, 13 und 1252.

[105] R.S. Süss, Opent de poorten. De plaats van Israel in het gesprek, Kampen 1994, 6.

[106] R.S. Süss, 'De plaats van Israel in de kerkorde der Nederlandse Hervormde Kerk', in: Verkenning en Bezinning, Kampen 1984, 45. Seine Auffassung ist im Entwurf der Samen-op-Weg-Kirchenordnung gewürdigt.

[107] Vgl. Rathenau, Eine Streitschrift vom Glauben, 118. Smelik, Anti-judaisme en de kerk, 143-152.

[108] Römer 11:18, so rühme dich nicht gegenüber den Zweigen. Rühmst du dich aber, so sollst du wissen, dass nicht du die Wurzel trägst, sondern die Wurzel trägt dich.

[109]  Smelik, Anti-judaisme en de kerk, 125-131.

[110] K. Barth, Kirchliche Dogmatik, I, 2, Zürich 1937, 567.

[111] R. Süss, De messias moet nog komen. Theologie met het oog op Israel en de volkeren, Amsterdam 2001, 255 und 257.

[112] D. Bonhoeffer, Ethik, Dietrich Bonhoeffer, Werke, Band 6, München 1992, 95. Es folgt: Der Jude hält die Christusfrage offen. Bonhoeffer meint, dass eine Verstoßung der Juden aus dem Abendland die Verstoßung Christi zur Folge hat, denn Jesus Christus war Jude.

[113] A.A. van Ruler, Het apostolaat der kerk en het ontwerp-kerkorde, Nijkerk 1948, 127.

[114]  Vgl. J. Bleumer und A. Houtepen, Kerk voor de nieuwe eeuw. Verkenningen in kerk, cultuur en oecumene, Zoetermeer 1997, 150.

[115] Römer 11:11, So frage ich nun: Sind sie gestrauchelt, damit sie fallen? Das sei ferne! Sondern durch ihren Fall ist den Heiden das Heil widerfahren, damit Israel ihnen nacheifern solle.

[116]  Süss, Opent de poorten, 103-130, insb. 118.

[117]  Süss, De messias moet nog komen, 132.

[118] F.W. Marquardt, 'De Kerk tussen Israel en de volken', in: Ter Herkenning, 18, 1990/3, 145-153, insb. 150.

[119] P.J. Tomson, De zaak-Jezus en de Joden, Zoetermeer 2001, 150.

 

 

 


 

FEL