emlékezet

Larissza Hrotkó:

Durchbruch des Fundamentalismus und ein neues Gesicht der Orthodoxie im Judentum Ungarns

2021.01.13.

 

Vorangehend möchte ich bemerken, dass mich der Fundamentalismus als eine Erscheinung des religiösen Lebens interessiert. Meiner Ansicht nach ist dieses Phänomen auch in den religiösen Strukturen der progressiven Gemeinschaften präsent. Deshalb befasse ich mich weniger mit der Kritik und vielmehr mit der Analyse fundamentalistischer Züge sowohl in der jüdischen Orthodoxie als auch im nicht orthodoxen Judentum Ungarns.

Wie ist das Verhältnis zwischen jüdischen Gemeinschaften und dem ungarischen Staat? Warum ist es notwendig, die jüdische Gemeinschaft in den Diskurs des Fundamentalismus in Ungarn hinzuziehen? Auf diese Fragen wird der zweite Teil der Arbeit Antworten geben.

Das postmoderne oder postsäkulare Denken zeigt sich in den Prozessen und Konflikten gesellschaftlichen Lebens, welche auch die jüdische feministische Religionswissenschaft zu analysieren versucht.[1] Der Begriff der „postsäkularen Gesellschaft”, die unsere Gegenwart auch aus der Sicht der Religionswissenschaft charakterisieren kann, erschien zum ersten Mal bei Jürgen Habermas anlässlich der Verleihung des Friedenpreises des Deutschen Buchhandels.[2]

Habermas analysierte die Vorgänge nach dem 11. September anhand der Bilder der Vergeltung aus der hebräischen Bibel,[3] indem er die Gesellschaft der Zeit „danach“ als Gegenpol der fortlaufenden Säkularisierung identifizierte. So kam es zum Begriff der „postsäkularen“ Gesellschaft, deren Hauptzüge die Rückkehr zu den religiösen Traditionen und der religiöse Radikalismus zu sein scheinen.Habermas betrachtete den Fundamentalismus als eine moderne Antwort auf die Säkularisierung:

“Trotz seiner religiösen Sprache ist der Fundamentalismus ein ausschließlich modernes Phänomen. An den islamischen Tätern fiel sofort die Ungleichzeitigkeit der Motive und der Mittel auf. Darin spiegelt sich eine Ungleichzeitigkeit von Kultur und Gesellschaft in den Heimatländern der Täter, die sich erst infolge einer beschleunigten und radikal entwurzelnden Modernisierung herausgebildet hat.”[4]

Die traditionelle jüdische Orthodoxie Ungarns war vor dem Zweiten Weltkrieg ein bedeutender Faktor im jüdischen Leben. Vor allem war sie auf dem Lande stark vertreten. Die Ermordung von über 400.000 ungarischer Juden während Schoa hat die ländliche jüdische Bevölkerung und damit die traditionelle jüdische Orthodoxie fast völlig vernichtet.

Zur politisch-wirtschaftlichen Wende 1989-90 erschien in Ungarn der erste Ausgesandte der hasidischen Bewegung Chabad Lubavitsch. Die von ihm aus den importierten Juden und heimischen Interessenten organisierte Gemeinschaft zeigte sich als authentischer Nachfolge traditioneller ungarischer Orthodoxie. Das Wort „authentisch“ sollte beweisen, dass nur diese Gemeinschaft berechtigt ist, sich jüdisch und orthodox (d.h. rechtgläubig, Besitzer der reinen Lehre) zu nennen. Dabei wirkt das Wort „orthodox“ heute nicht mehr abschreckend, sondern ist für viele ein Zeichen höherer Moralität und echter traditioneller Lehre.

Die neue Orthodoxie präsentiert sich im öffentlichen Leben, ist auf die Straße gegangen und begleitet ihre Tätigkeit mit modernen Mitteln der Propaganda. Die journalistische Kamera liebt die Mitglieder der neuen Orthodoxie (weiterhin Neo-Orthodoxie genannt). Man sieht ihnen vom Weiten an, dass sie jüdisch sind, obwohl ihre Kleidung eine Mischung aus hasidischen, orthodoxen und russisch-orthodoxen Elementen ist. Doch nicht so authentisch also!

Über die Eroberung des jüdischen Raums, Gründung zahlreicher „Zellen“ der Bewegung, verschiedene Mittel und Methoden des neo-orthodoxen Anmarsches wurde in den jüdischen Medien schon ausführlich berichtet.[5] Aufgrund der analysierten Details und des Verhaltens der Mitglieder der Bewegung kann festgestellt werden, dass es hier um radikalisierte Tradition, d.h. fundamentalistische Richtung des Judentums geht.

Keine der Analysen konnte bisher erklären, warum die chabadische Neo-Orthodoxie bei dem ungarischen Judentum Erfolg hat. In meiner Analyse versuche ich diese Antwort aus Sicht der feministischen Religionswissenschaft zu formulieren.

Zum Schluss werden das Verhältnis zwischen jüdischen Gemeinschaften und ungarischer Gesellschaft sowie die Relevanz der inneren Konflikte und Prozesse – wie z.B. der Verbreitung fundamentalistischer Attitüden – für ungarisches Religionsleben zusammengefasst.



[1] Z.B. Larissza Hrotkó „Streit und Sorge um die Identität einer jüdischen Gemeinschaft“ in: Judith Gruber, Sebastian Pittl, Stefan Silber, Christian Tauchner (Hrsg.) „Identitäre Versuchungen“ (Verlagsgruppe Mainz in Aachen: Aachen 2019).

[2] Jürgen Habermas, Glauben und Wissen: Friedenspreis des Deutschen Buchhandels (Suhrkamp: Frankfurt am Main), 2001.

[3] Habermas, Glauben und Wissen, 10

[4] Ebenda

[5] Z. B. Péter Magyari, Egy kis haszid szekta, ami átvenné a világ zsidóságának képviseletét. [Eine kleine hasidische Sekta, welche die Vetretung des Judentums der Welt gerne übernehmen würde – H.L.]

 

FEL